Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
liebsten wäre mir, wenn sich alle Witze und lustige Geschichten von mir erzählen und mich so als Ahne huldigen.“
Sie verabscheute die Gebräuche und Rituale ihrer Kultur, die schwarze Kleidung, die trauernde Haltung, die Schwere. Bunte Blumen sollten auf dem Weg zu ihrem Grab verstreut werden, sie wollte unbedingt beerdigt und nicht verbrannt werden. Sie glaubte an die christliche Botschaft, die das Leben nach dem Tod verspricht. Ihr Körper sollte als Ganzes in die Erde gelassen werden, sie dachte, dass die Hülle so bestehen bleibt und sie in ihrer bisherigen Erscheinung wieder aufersteht. Da fand Olivia ihre Vorstellungen etwas naiv und hörte schon die schmatzenden Würmer und Maden, wie sie sich gierig durch ihr Fleisch fressen würden, sah die grausamen Bilder der Skelette und Totenköpfe aus den Massengräbern, aber das sagte sie ihr nicht, um ihr die kindliche Illusion zu bewahren.
Dass Albert, ihre Wünsche missachtend, die Feuerbestattung wählte, war für Olivia unbegreiflich. In einem Telefonat hatte sie deshalb versucht, Albert umzustimmen, doch ihre Einwände schmetterte er emotionslos ab.
„Fängst Du jetzt auch an mit der Niggerscheiße?“, polterte er durchs Telefon und belehrte sie mit Zorn und Eifer.
„Pass mal auf, Olivia. Deine Freundin hat hier gar nichts mehr zu wollen. Sie hat jämmerlich versagt. Sie hat mich und Greta im Stich gelassen, auf übelste Art und Weise, und dafür wird sie bestraft, so wie das früher die katholische Kirche mit Suizidanten gemacht hat. Sie wird verbrannt. Für mich ist der Fall erledigt. Ich bin dabei, alles von ihr zu vernichten, alles! Nichts soll mehr an sie erinnern. Meine ganze Familie hat sie blamiert, und in solch einer Situation sollen wir dann am Grab rumtanzen, fröhliche Lieder singen und bunte Blumen streuen? Das ist doch wohl nicht Dein Ernst!
Für die Entscheidung, sie gegen ihren Willen einzuäschern, schäme ich mich erstens überhaupt nicht. Hast Du ihren entstellten, zersägten und wieder zusammengeflickten Körper nach der Organentnahme gesehen? Nein, hast Du nicht, und ich wollte ihn nicht mehr sehen, mir hat dieses billige Geschöpf in seiner Agonie mit dem aufgedunsenen Gesicht, lethargisch kraftlos da liegend, gereicht. Sie wird verbrannt, und ihre Asche wird dort zerstreut, wo sie sich so gerne mit ihren Liebhabern rumgetrieben hat, am Märchenteich.
Das ist die günstigste und ordentlichste Lösung. Da muss sich niemand um ihr Grab kümmern, und wenn trotzdem einer glaubt, sentimental werden zu müssen, na dann weiß er, wo er rumspazieren kann, um ihr ganz nah zu sein. Nach der Trauerfeier gibt es im Café um die Ecke ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee. Basta. Und wem das nicht gefällt, der kann ja zu Hause bleiben.“
Das gefiel Olivia überhaupt nicht, aber sie fuhr trotzdem über die Großbeerenstraße Richtung Marienfelde bis nach Lankwitz. Da lag Saskia wenigstens noch im Sarg. Mit ihrer Präsenz wollte sie der Freundin eine letzte Referenz erweisen und Greta eine Stütze sein, das war sie beiden schuldig, und sie würde ihre Solidarität optisch zum Ausdruck bringen.
Trotzig, alle Gebräuche missachtend, erschien sie farbenfroh mit bunten Blumen, in Jeans und lila Seidenbluse, darüber ihren orangenen Wollmantel.
Bewusst kam sie etwas zu spät und betrat erst die Kapelle, als die winzige Trauergemeinde bereits Platz genommen hatte. Still und leise positionierte sie sich in der letzten Reihe. So wahrte sie Distanz und konnte das Geschehen quasi aus dem Hinterhalt beobachten. Im diffusen Licht stand gleich neben dem Altar Saskias Sarg, umgeben von einem großzügig gebundenen weißen Rosengesteck und Kränzen aus Tannenzweigen, Moos, farbigen Herbstblättern und roten Hagebutten. Dazwischen blickten kleine gelblich-braune Astern hervor, die dem tristen Gebinde aber auch keinen Glanz verliehen. Der modrige Geruch der Friedhofsgärtnereien stieg ihr in die Nase. Daneben stand überraschenderweise eine Staffelei mit Saskias Portrait, angeblich hatte Albert doch alles, was an sie erinnerte, entfernt. Olivia kannte das Bild. Albert hatte es vor Jahren von einem Maler, der die Hochachtung seiner Eltern genoss und somit die ganze Familie bediente, anfertigen lassen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, Olivia hatte jedenfalls mit diesem impressionistischen Werk Probleme. Saskias reine schneeweiße Haut wirkte alt und schrullig durch den kurzen starken Pinselstrich und die kontrastfarbenen Flecken, die
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