Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Ungerechtigkeit reagierte sie recht eigenwillig, indem sie ihre Mitmenschen mit Frivolitäten provozierte. Olivia genoss es regelrecht, wenn sie richtig in Fahrt kam und jeden Mann im Raum um den Finger wickelte, während deren Ehefrauen gepeinigt verstummten. Wenn sie quiekend vor Freude deren Hintern tätschelte und wie ein Matrose auf hoher See schmutzige Witze zum Besten gab, über die außer ihr nur die Männer lachten, während die Frauen schamhaft zu Boden blickten. Keines ihrer Worte legte Olivia auf die Goldwaage, doch in dieser Nacht war das wohl ein Fehler gewesen.
Sprachlos saß sie da, beschämt, klein, voller Schuldgefühle. Bilder rauschten durch ihren Kopf. Saskia mit ihren großen munteren Augen, wie sie vor einer Woche neben ihr gesessen hatte, so blass, so mager, und sie dachte, Saskia hätte Aids. Was für ein schrecklicher Irrtum. Olivia glaubte zu hören, wie sie lachte, wie sie Olivia auslachte , und sprang auf.
„Wo ist sie, ich muss dahin?“, hörte sie sich sagen, gleichzeitig fiel ihr Greta ein, die wartete. Josef hielt sie fest und bat um ihre Aufmerksamkeit. Er ignorierte ihre Sorge und überschüttete sie mit seinem Zorn.
„Sie haben es einfach zu weit getrieben“, seufzte er. Zu weit getrieben? Olivia verstand nicht.
„Was haben sie zu weit getrieben?“ Und Josef erzählte von ihren vielen geheimen Treffen, die schon lange nicht mehr geheim waren, weil sie sich in Potsdam immer öfters als Paar gezeigt hatten, am See, auf den Waldwegen, in der Praxis. Weil sie gemeinsam überall spazieren gegangen waren, sich geküsst, umarmt und geliebt hatten. Jeder wusste es, die Arzthelferinnen, die Leute, Franks Frau und Saskias Mann. Josef war nicht mehr zu bremsen. Er schien Gefallen daran zu haben, das Verhältnis beider akribisch zu schildern und gleichzeitig zu verurteilen. Er rechnete regelrecht mit ihnen ab. Voller Verachtung sprach er über ihre Ignoranz. Wie sie ihre Familien belogen, die Kinder vernachlässigt, die Ehepartner betrogen hätten. Am härtesten kritisierte er das Verhalten von Saskia.
Sie war die böse Hexe in diesem Spiel, diejenige, die den armen Frank ins Unglück gestürzt hatte. Er, Josef, habe ihn immer gewarnt vor ihr, ihm gesagt, dass er sein Liebesleben nie mehr so fortführen könne mit dieser Frau. Sein Liebesleben? Das wollte Olivia nun doch genauer wissen. Josef erklärte ihr, dass Frank immer fremdgegangen sei und mit seiner Ehefrau deshalb auch keine Probleme hatte. Aber Saskia, die habe von Anfang an gezickt. Er hätte das sofort erkannt und dem Frank gesagt: „Lass die Finger von ihr, die bringt nur Ärger.“ Aber Frank habe ja nicht auf ihn hören wollen, das hätte er jetzt davon. Was für eine Schmach.
„Sie meinen, Saskia hat ihn zu sehr unter Druck gesetzt?“
„Na klar hat sie das, sie wollte immer mehr. Sie wollte ihn für sich allein, sogar mit ihm auswandern, aber das hätte er niemals gemacht. Er wollte doch nur Spaß mit ihr haben.“ Josef zog genüsslich an seiner Zigarette, die er sich angesteckt hatte. Mit der anderen Hand hielt er sich an seinem Gürtel fest und blickte Olivia mit einem feisten Grinsen an.
„Es war für ihn nur Spaß?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Na klar, das hat er ihr nur nie gesagt. Verrückt war er nach ihrem Körper, in die Kiste wollte er mit ihr, das war alles!“ Echauffiert schnippte er die Asche in die Kaffeetasse. Die Art und Weise, wie er die Beziehung aus Franks Perspektive schilderte, schien etwas zu hämisch, zu selbstsicher, zu ketzerisch, widerwillig ertrug Olivia diesen Unmenschen, der so gar nichts Nettes an sich hatte. Ohne Unterlass redete er auf sie ein und bündelte seine Ansichten zu einem ernüchternden Monolog.
„Männer ticken eben anders als Frauen, besonders, wenn sie verheiratet sind. Männer suchen das Amüsement, es ist ihre Natur zu jagen. Am Anfang in der Werbungsphase überschlagen sie sich mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten, aber das hält maximal ein paar Wochen. Ist der Jagdtrieb befriedigt, wird die Affäre gnadenlos zur Routine. Wenn sie verheiratet sind, wird permanent gelogen. Zu Hause, dann wieder bei der Geliebten, im Freundeskreis, ach das ganze Leben wird zum Lügengebilde, und das ist auf Dauer anstrengend. Die geheimen Treffen kosten Energie, Kraft und Zeit. Nach cirka 18 Monaten ist die Luft dann raus. Entweder haben sie schon wieder was Neues entdeckt, langweilen sich oder werden müde. Sexuell haben sie das Objekt ihrer Begierde längst erforscht
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