Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
Tafel wurde auf der Treppe zerschmettert. Greta verschwand in den Keller und zerrte den Staubsauger ins Wohnzimmer vor den Kamin. Erst jetzt bemerkte Olivia, dass der Teppich von einer dünnen Ascheschicht überzogen war.
„Was ist hier denn passiert?“ Greta drehte sich zu ihr um.
„Nichts. Mama hat wohl gestern ein Feuerchen gemacht, und der Wind ist heute Nacht durch den Kamin gerauscht und hat die Asche auf dem ganzen Boden verteilt, das passiert öfters.“
Greta stellte den Staubsauger ab. Da stand sie barfuss, allein, schutzlos, sich selbst überlassen im staubigen Überbleibsel eines Kaminabends. Durch die Fenster fiel das graue Tageslicht, zu schwach, um die Dinge klarer zu sehen und zu stark, um sich vor der Wahrheit verstecken zu können.
„Greta, Du irrst Dich bestimmt. Die Mama packt das. Sicher ist ein Unfall passiert.“ Die beiden waren verletzt, aber Saskia würde genesen und bald wieder nach Hause kommen, da war sich Olivia ganz sicher. Unglücke passierten täglich überall auf dieser Welt. Sie wollte doch mit ihrer Tochter und Frank nach Kanada auswandern, weg von hier, eine neue Existenz aufbauen, bei Null anfangen. Olivia fand den orakelnden Josef absurd und Frank heldenhaft, diesen Mann, der seine finanzielle Sicherheit opfern wollte, für die Liebe. Der Saskia auffangen und ihr eine Perspektive geben würde und dabei sogar an Greta dachte. Greta sollte mitkommen. Aber bei diesem Gedanken begann sie auch schon an der Richtigkeit ihrer Mutmaßung zu zweifeln. Warum dann ein Selbstmordversuch?
„Ich bin schuld“, schluchzte Greta, „wir haben uns immer gestritten, weil ich nicht gemacht habe, was die Mama wollte, weil ich nicht so war wie sie, weil ich die Medizin nicht nehmen wollte, ich bin schuld.“
„Medizin, welche Medizin, Greta?“
„Damit ich gute Noten schreibe, damit ich nicht so zappelig bin, damit ich keinen Ärger mache. Aber ich habe den Arzt gehasst, der hat mich nur gequält mit diesen Knöpfen auf meinem Kopf, und dann hat er immer nur mit der Mama geredet, und sie haben mich in dem Zimmer alleine gelassen. Ganz lange, ganz lange.“
Sie trat gegen den Staubsauger und rannte wieder die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Olivia folgte ihr, sie musste zu Saskia, aber sie konnte Greta auch nicht alleine lassen. Schluchzend warf sich das Mädchen auf ihr Bett. Behutsam strich Olivia über die glatten schwarzen Haare, so saßen sie ganz lange, wie zwei Schiffbrüchige auf einer einsamen Insel. Nur Gretas Weinen war zu hören, und ihre schwere Atmung.
Olivias Blick wanderte durch den Raum, die bizarre Unordnung beruhigte sie ein wenig. Das wilde Durcheinander von zusammen geknüllten T-Shirts und Strumpfhosen, der ausgekippte Schulranzen, der voll gestopfte Mülleimer, alles erschien natürlich und doch absurd. Von der Wand glotzten die Jungs von Tokio Hotel mit ihren steif gegelten Haaren und schwarz bemalten Augen auf die Teddybären im Himmelbett. Das schrille Farbenspiel von sonnengelb und rosa, zwischen Tapete und Gardine wärmte Olivias erstarrtes Gemüt und entschädigte sie für den Besuch in Dr. Steins Praxis. Doch dieser abstrakte Moment war nur von kurzer Dauer, schon holten sie die Sorgen wieder ein. Es musste etwas geschehen, sie konnten nicht endlos in dieser liebenswerten Räuberhöhle verharren.
Albert war immer noch nicht gekommen, und Olivia fragte sich, wo er so lange blieb, er hatte per SMS sein Kommen angekündigt. „Greta, was meint denn die Mama, welche Krankheit Du hast?“
„Es ist eine psychische Störung, sagen sie. Weißt Du, es ist, weil ich mich nicht konzentrieren kann, und wenn ich das Medikament nehme, geht’s besser. Das stimmt auch, aber mich macht das böse, ich werde dann ganz gemein, und dann habe ich die Kinder geschlagen. Dann habe ich die Mama angeschrien. Es hat mit mir was gemacht, ich konnte das nicht steuern. Dann hat mich die Mama ganz fest gehalten und mich auch angeschrien, dann haben wir uns beide angeschrien, und dann hat sie mich geschlagen, und ich habe sie geschlagen. Wir haben gekämpft. Dann hat sie meistens geweint und gesagt, in mir würde der Teufel stecken, und das hätte sie nicht verdient, so eine schreckliche Tochter. Sie hat mich am Arm gezerrt, die Treppe hoch geschleift. Ich habe mich absichtlich ganz schwer gemacht, damit sie sich richtig anstrengen muss, meistens hat sie mich dann auf der Treppe losgelassen, und da bin ich einfach liegen geblieben und habe geweint, und sie ist
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