Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Vortrag von Reverend Small, dem Gründer von Bare Hands Creek.« Er kam zurück, stellte ihm einen Teller mit zwei Scheiben bleichen Gebäcks hin. »Wobei ich das, was er sagte, damals, wie gesagt, völlig überzogen fand. Aber als ich kurz darauf nach Saudi-Arabien gekommen bin, hatte ich trotzdem sozusagen eine andere Brille auf. Ich habe auf Dinge geachtet, die mir ohne den Vortrag nicht aufgefallen wären. Und so habe ich allmählich begriffen, auf was für tönernen Füßen unsere Energie-Monokultur steht. Ich habe angefangen, nachzudenken. Mir Fragen zu stellen.«
Markus nahm eines der Kuchenstücke. Es schmeckte altbacken, aber er aß es trotzdem. »Fragen«, wiederholte er kauend. »Was für Fragen zum Beispiel?«
Taggard ließ sich wieder in den Sessel sinken und griff nach seiner Kaffeetasse. »Schauen Sie, Markus – Sie wissen, wie die Menschen in diesem Land leben. Gehen Sie in irgendeine kleine Stadt: Was finden Sie vor? Eine Hauptstraße, ein paar Blocks lang, üblicherweise mit einem Frisör, einem Drugstore, einem Secondhand-Laden, einer Pizzeria und einem chinesischen Imbiss. Und davor, auf ganzer Länge der Straße, Parkplätze. Sie sehen Leute aus Autos aussteigen oder in welche einsteigen, aber kaum jemanden, der mehr als zehn Meter zu Fuß geht. Die Häuser, in denen die Einwohner leben, sind alle weit draußen und ohne Auto nicht zu erreichen. In den Städten ist es noch schlimmer. Die meisten amerikanischen Innenstädte sind praktisch tot. Die Bevölkerung lebt in riesigen Suburbs, Vorstädten aus endlosen Reihen gleich aussehender Billighäuser, die das Land überziehen wie Schimmelpilz. Und jetzt fragen Sie sich doch selbst, wie das alles funktionieren soll, wenn es kein billiges Öl mehr gibt. In Vorstädten sind Sie ohne Auto verloren; jedes Familienmitglied braucht ein eigenes Fahrzeug. Viele von diesen Leuten sind heute schon verschuldet, arbeitslos oder halten sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser, für die sie jeden Tag dreißig, fünfzig, hundert Meilen fahren müssen. Was werden sie tun, wenn das Benzin richtig teuer wird? Und denken Sie daran: Auch wenn sie bloß einkaufen wollen, müssen sie fahren, dreißig, fünfzig oder noch mehr Meilen. Wie soll das gehen, wenn Benzin unerschwinglich wird? Was bleibt ihnen dann? Viele werden versuchen, in die Stadt zu ziehen – aber wohin dort? Die alten Wohnhäuser sind weitgehend zerfallen, und neue zu errichten kostet Zeit, die drängen wird, Geld, das man nicht haben wird, und natürlich Treibstoff für Baumaschinen, der ebenfalls fehlen wird, genau wie Asphalt, um die Straßen zu teeren, und die tausend anderen aus Erdöl hergestellten Baumaterialien, die üblich geworden sind. Doch selbst wenn es diese Wohnhäuser gäbe, wer könnte sie sich leisten? Die Menschen haben viel Geld für ihre Häuser weit draußen bezahlt, die Ersparnisse ihres Lebens, und darüber hinaus die Einkünfte kommender Jahrzehnte verpfändet – für Häuser, die schlicht unverkäuflich sein werden, wenn es kein billiges Benzin mehr gibt. Die billigen Supermärkte, zu denen sie nicht mehr fahren können, werden aufhören, billig zu sein, und zum größten Teil auch aufhören, überhaupt zu existieren. Wie wird die Bevölkerung dann versorgt werden? Wo werden die, die bislang dort gearbeitet haben, arbeiten? Wie werden die Menschen ihre Wohnungen im Winter ohne erschwingliches Öl heizen, wie sie im Sommer kühlen, wenn der Strom so teuer wird, dass sie ihn sich nicht mehr leisten können – falls er nicht in weiten Teilen des Landes sowieso ausfällt? Wie werden die Kinder in die Schule kommen? Was für Karrieren stehen ihnen noch offen? Zweifellos wird niemand mehr Berufe wie Mediendesigner oder Public-Relations-Manager ergreifen, aber wovon werden die Leute leben, die heute bereits Mediendesigner oder Public-Relations-Manager sind ? Werden sie anfangen, sich aus ihrem Garten selbst zu versorgen?«
Markus fühlte sich durch Taggards Wortschwall regelrecht erschlagen. »Klingt so, als würde ihnen nichts anderes übrig bleiben«, sagte er, während er überlegte, dass der Beruf eines Vertreters für Finanzdienstleistungssoftware vermutlich auch nicht mehr sonderlich gefragt sein würde.
»Ganz recht«, meinte Taggard, »aber das ist nicht so einfach, wie es klingt. Denken Sie daran, die heutige Generation ist in dem Glauben aufgewachsen, dass die Milch aus dem Supermarkt kommt. Was wissen solche Menschen darüber, wie man Schimmel, Mehltau oder
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