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Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt

Titel: Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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zu gehen. Und er war entschlossen, dafür zu sorgen, dass Kinder auch künftig in eine Schule gehen würden.
    Obwohl er schon in Fernsehstudios gewesen war, überraschte ihn die Helligkeit darin und die von den Scheinwerfern ausgehende Hitze immer wieder aufs Neue. Ob das wirklich nötig war? Nach all den Fortschritten, die die Technik gemacht hatte?
    Während Miller mit dem Aufnahmeleiter sprach, holte Abu Jabr den Zettel aus der Tasche, faltete ihn auseinander, glättete ihn und legte ihn sorgsam zwischen die Seiten der Rede. Dann ließ er sich von einem der Assistenten, der ihm ebenfalls überaus ehrfürchtig begegnete, an den Platz begleiten, an dem er während seiner Ansprache sitzen würde.
    Letzte Korrekturen. Jemand zupfte an seinem Bart herum, ein anderer ordnete den Fall der ghutra , prüfte den Sitz der agal , der einfachen Kordel, auf der er bestanden hatte. Noch war er nicht König.
    Es begann wie in den Proben. Miller, der ihm ermunternd zunickte, der Aufnahmeleiter, der mit den Fingern rückwärts zählte, dann das rote Licht über der Kamera.
    Die Rede war gut geschrieben, sowohl vom Klang der Worte als auch vom Inhalt her. Es ging, natürlich, um die Ereignisse der letzten Monate: den Unfall von Ras Tanura, der ein Versuch gewesen war, einen anderen Unfall, nämlich den Wassereinbruch im Ölfeld Ghawar, zu vertuschen. Wie die Dinge außer Kontrolle geraten waren. Abu Jabr spürte, wie seine Stimme beinahe von selber schärfer wurde, als er die Passagen verlas, die die Flucht der Regierung vor dem Zorn des Volkes kritisierten. »Diese Personen können nicht länger beanspruchen, unser Land zu regieren.«
    Er nahm den Zettel zur Hand, mit dem Text darauf, an dem er stundenlang gefeilt hatte. »Doch ich will mich nicht einfach auf meine Abstammung berufen«, las er weiter und sah, wie Miller zusammenzuckte. »Mein Vater hat diese Nation begründet, gewiss – aber kann ich daraus irgendeinen Anspruch herleiten? Das weiß ich nicht. Ich weiß jedoch, dass dieses Land zur Einigkeit zurückfinden muss. Ich bin bereit, euer König zu werden, doch ihr müsst bereit sein, mich als euren König anzunehmen. Ich verlange zu wissen, dass ihr bereit dazu seid. Ich verlange es von jedem Einzelnen von euch zu wissen. Deswegen setze ich hiermit eine Abstimmung an, in der jeder erwachsene Bürger Saudi-Arabiens, und zwar jeder Mann und jede Frau, eine Stimme hat, die er in Abgeschiedenheit abgeben soll, verantwortlich nur vor sich und Allah, er ist gepriesen und erhaben. Diese Befragung des Volkes setze ich hiermit an; sie soll innerhalb der nächsten zwei Wochen stattfinden, und Beobachter aus allen Ländern, die dies wünschen, sind dazu eingeladen. Nur wenn die Mehrheit von euch mit mir als König einverstanden ist, werde ich diese Würde akzeptieren. Ma’a as-salaama. «
    Der Aufnahmeleiter, der auf eine etwas längere Rede eingestellt war, wusste nicht, was er machen sollte, und sah ihn nur ratlos an. Es würde ihm schon etwas einfallen. Abu Jabr legte die Blätter seines Manuskripts zusammen, stand gelassen auf und ging aus dem Bild. Aus den Augenwinkeln sah er, dass jemand heftige Gesten machte, die vermutlich jemanden dazu bringen sollten, die Übertragung zu beenden.
    »Das war nicht abgesprochen«, sagte Miller, als er danach in den Schminkraum kam.
    »Nun ja«, erwiderte Abu Jabr heiter. »Da es schließlich ein Schritt in Richtung Demokratie ist, war ich mir sicher, dass Sie sowieso nichts dagegen gehabt hätten.«
    Inzwischen war der PKW -Absatz nahezu völlig zusammengebrochen. Niemand, der nicht unbedingt musste, dachte mehr im Traum daran, ein neues Auto zu kaufen. Der März brach an, und die deutsche Automobilbranche befand sich »in der schwersten Krise ihrer Geschichte«, wie es hieß. Bei allen Automobilherstellern herrschte Kurzarbeit, und dass Entlassungen in großem Umfang bevorstanden, lag in der Luft.
    Vielleicht, begann man einander zuzuflüstern, war es ja mehr als eine Krise. Vielleicht war es schon der Todeskampf.
    Die Krise schlug auch auf andere Industriezweige durch. »Jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland hängt am Auto«, hörte man überall. Für die direkten Zulieferer der Automobilindustrie, infolge jahrelanger Preisoptimierungen ohnehin nicht mit großen Gewinnspannen gesegnet und folglich weitgehend ohne Reserven, war der Konkurs nur eine Frage der Zeit. Unternehmen der zweiten Reihe, Werkzeugmaschinenbauer etwa, mussten ebenfalls die Gürtel enger schnallen, rechneten sich

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