Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
damit durch die Gänge. Wo er eine Tür fand, hinter der es noch hell war, klopfte er an, schaute hinein und sagte etwas wie: »Hi, meine Augen fangen gerade an, viereckig zu werden. Da dachte ich, ich nehme meinen Kaffee und schau mal, was für Irre denn noch so um diese Zeit zu Gange sind. Haben Sie fünf Minuten Zeit? Ich heiße übrigens Mark Westman.« Und schon war er im Gespräch mit jemandem, den er unter normalen Umständen nie kennen gelernt hätte und der meist dankbar für die Ablenkung war.
Es war pure Strategie. Es ging darum, möglichst vielen Leuten aufzufallen. Verbündete zu finden. Innerhalb der Firma ein Netzwerk zu knüpfen. Karriere machte der, der so wirkte, als würde er einmal Karriere machen. Und anders als immer behauptet wird, schätzt kein Unternehmen Mitarbeiter, die sich ihre Arbeit so intelligent einteilen, dass sie sie innerhalb der vereinbarten Bürostunden erledigt bekommen.
Genauso war es Strategie, um halb elf Uhr abends den Kopf in das Büro des allerobersten Chefs der Niederlassung Paradise Valley zu stecken und beiläufig zu fragen, ob er zufällig noch etwas Kaffee übrig habe.
Natürlich wusste Markus, dass der Mann mit dem rosigen Gesicht und den Geheimratsecken, der die Füße auf dem Schreibtisch liegen hatte und in die Lektüre eines Berichts vertieft war, Richard Nolan hieß. Er wusste sogar, dass er verheiratet war und zwei Töchter hatte, von denen die eine noch studierte – Geschichte –, während die andere gerade das erste Enkelkind in Arbeit hatte. Und er wusste, dass ihm der weiße Lincoln mit der roten Lederausstattung gehörte.
Nolan nahm die Füße nicht vom Tisch, sondern nickte nur kurz in die Richtung der Thermoskanne, die auf seinem Kühlschrank stand. »Müsste noch was da sein.«
»Danke.«
Gerade als Markus nachgeschenkt hatte und die Kanne wieder absetzte, fragte Nolan: »So spät noch da? Sie sind doch aus dem Lokalisierungsteam, nicht wahr? Deutschland, glaube ich.«
»Ja. Mein Name ist Mark. Mark Westman.« Markus machte sich an seiner Tasse zu schaffen, um seine Nervosität in den Griff zu bekommen; tat, als müsse er über den Kaffee pusten, ehe er daran nippen konnte. »Mir gefällt die Atmosphäre am Abend. Die Konzentration. Es hilft mir, den Job besser zu erledigen.«
Nolan nickte. »Verstehe. Ja, geht mir genauso.«
In der Art, wie er es sagte, schwang etwas mit von O. K. , und jetzt hätte ich gern wieder meine Ruhe , also beließ es Markus für diesmal bei einer knappen Verabschiedung und ging.
Ein paar Tage später begegneten sie sich wieder – in der Toilette, kurz vor Mitternacht. Und nicht ganz so zufällig, wie es Nolan hoffentlich vorkam.
»Na? Immer noch an der Arbeit?«, meinte er, als sie nebeneinander an den Waschbecken standen.
Markus nickte seinem Spiegelbild zu, das genau so aussah, wie es aussehen sollte: blass, müde, mit Schatten unter den Augen. Ein Kämpfer, der für seinen Job alles gab. »Nun ja, Sir«, meinte er. »Tatsächlich hat niemand behauptet, dass es leicht sein würde. Und dass eine Rundreise zu den Sehenswürdigkeiten inbegriffen sein würde, stand auch nirgends.« Er zuckte mit den Schultern. »Was soll’s? Kann man alles nachholen.«
Nolan grinste. Er wirkte auch schon etwas müde. »Wohin würden Sie denn fahren, wenn Sie Zeit hätten?«
»Westküste«, erwiderte Markus wie aus der Pistole geschossen. »Vor allem anderen würde ich nach Kalifornien fahren, nach Los Angeles. Hollywood, Sunset Strip. Und nachsehen, ob das Whiskey-a-Go-Go noch steht.«
Nolan machte eine Bewegung, als zucke er innerlich zusammen. »Das Whiskey-a-Go-Go ? Wieso das denn?«
» The Doors , Sir. Ich weiß nicht, ob Ihnen das was sagt. Das war Ende der Sechziger eine berühmte Rockgruppe. Haben ein paar der großartigsten Songs aller Zeiten geschrieben, meiner Meinung nach jedenfalls.« Markus fuhr sich mit den nassen Händen übers Gesicht. »Na ja, und irgendwann will ich auf ihren Spuren wandeln, wie man so sagt. Dort, wo alles anfing.«
Als er wieder aufblickte, sah er, dass Nolan ihn erschüttert musterte.
» The Doors. Ich wusste nicht, dass sie heutzutage immer noch so bekannt sind. Das ist ein Teil meiner Jugend, müssen Sie wissen, der beste davon vielleicht … Sie kommen aus Europa, nicht wahr? Jim Morrison liegt in Paris begraben.« Der Mann, der einmal die Woche mit Simon Rowe zu Mittag aß, winkte ab. »Was rede ich? Das wissen Sie natürlich. Ich wollte immer mal hinpilgern, aber wie das so geht,
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