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Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt

Titel: Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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eine oder andere Bemerkung machte, die klarstellte, dass er zu kämpfen hatte. »Sechzig Prozent aller Literatur, die weltweit zum Thema Steuern gedruckt wird, behandelt das deutsche Steuerrecht, ist euch das klar?« war ein Argument, das für betroffene Gesichter sorgte. »Weltweit!«
    Die Zahl stimmte sogar. Bloß hatte sie – was er natürlich für sich behielt – für seinen Job nicht die geringste Relevanz.
    Am dritten Abend stand wieder ein Gedeck für ihn bereit, deswegen kam er am Abend darauf erst nach dem Abendessen. Er brach ein Billardspiel mittendrin ab und entschuldigte sich: Er müsse ins Bett.
    In Wirklichkeit fuhr er danach zu einem der riesenhaften Supermärkte außerhalb der Stadt, die rund um die Uhr offen hatten und wo die Bewohner von Paradise Valley offensichtlich lieber einkauften als in ihrer Innenstadt, und deckte sich mit allem ein, was ihm noch fehlte, um sich von nun an selbst zu versorgen. Abgesehen vielleicht von Kleinflugzeugen und Hochseejachten gab es hier praktisch alles zu kaufen: Lebensmittel und Haushaltsgeräte, Möbel und Computerzubehör, Kleidung und Fernreisen, Versicherungen und Unterhaltungselektronik jeder Art. Selbst wer nachts um ein Uhr das dringende Bedürfnis verspürte, eine Kettensäge, ein Jagdgewehr oder eine Telefonanlage zu erstehen, wurde fündig. Die Einkaufswagen hatten die Ausmaße von Kleinwagen, und sie durch den ganzen Parcours zu schieben ersetzte eine Runde im Fitness-Center. Das gab es dort natürlich auch, und es hatte ebenfalls rund um die Uhr geöffnet. Und die Frauen an den Kassen waren so freundlich, als könnten sie sich zu dieser späten Stunde keinen schöneren Aufenthaltsort vorstellen.
    Amerika! Wie er dieses Land liebte, mit seiner unnachgiebigen Entschlossenheit, das Unmögliche möglich zu machen, und mit seiner unerschütterlichen Liebe zum Kolossalen. Er hätte jauchzen mögen, als er seine Kreditkarte zückte.
    Seinen Wecker stellte er eine schmerzhafte Stunde früher, um eine Stunde vor dem Lokalisierungsteam in der Firma zu sein. Die Hälfte dieser Stunde verbrachte er damit, dafür zu sorgen, dass er von den anderen, den ständigen Mitarbeitern, bemerkt wurde. Er schüttelte Hände, machte aufmunternde Bemerkungen und grüßte vor allem jeden, dem er begegnete, mit Namen. Die zu erfahren war kein Problem gewesen. Im Intranet war das komplette Organigramm zu finden, mit Fotos neben jedem Namen. Das hatte er sich ausgedruckt und vor dem Schlafengehen Namen zu Gesichtern gebüffelt wie einst englische Vokabeln. Selbstverständlich achtete er darauf, immer seinen Clip mit der Visitenkarte zu tragen, und zwar so, dass sein Gegenüber keine Mühe hatte, sie zu lesen. So dauerte es nicht lange, bis er das erste Mal mit »Hi, Mark!« zurückgegrüßt wurde.
    Musik in seinen Ohren.
    Einmal noch ging er zum Abendessen mit den anderen. Aber er mischte sich in jede Unterhaltung ein und torpedierte sie alle so lange mit pausenlosem Gerede über fachliche Fragen, bis jemand – Pavel – rief: »Mark, du bist ja besessen von diesem Job!«
    Worauf er ihn anstierte und erwiderte: »Ich will ihn erledigen. Das ist alles.«
    In der Art, wie ihn die anderen musterten, erkannte er, dass sie sich an ihn als an jemanden erinnern würden, der sich »tierisch reingehängt« hatte, nicht als an jemanden, der ihnen einfach den Rücken gekehrt hatte. Das war alles, was er wollte. Von da an kam er nicht mehr, sondern verbrachte die Abende in der Firma.
    Das nämlich ist das Geheimnis, das diejenigen, die pünktlich Feierabend machen, nie erfahren: Abends, wenn die Sekretärinnen, Verwaltungsangestellten und sonstigen niederen Dienstgrade das Gebäude verlassen, verändert sich die Atmosphäre. Ruhe kehrt ein. Diejenigen, die zurückbleiben, sind Verschworene, die wahren Helden, Kämpfer für die Interessen der Firma, die sich im Kampf gegen die Konkurrenz aufreiben. Sie genießen es, endlich unter sich zu sein. Krawatten werden gelockert, Schuhe aufgebunden, Hemdknöpfe geöffnet. Gespräche verlaufen gelöster, die Stimmen klingen tiefer, es wird mehr gelacht. Obwohl draußen die Nacht anbricht, hat man alle Zeit der Welt.
    Wenn der Bus mit den anderen vom Team vom Parkplatz rollte, saß Markus noch an seinem Platz. Er arbeitete weiter, aß nebenher ein paar Sandwiches und richtete es so ein, dass seine Mails nach Deutschland, Österreich oder der Schweiz jeweils bis zehn Uhr abends draußen waren. Danach holte er sich eine frische Tasse Kaffee und strich

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