Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Verstorbenen finden den Gedanken, dass der Tod eines ihnen nahe stehenden Menschen für jemand anderen zugleich eine Chance auf Leben ist, in gewisser Weise tröstend und stimmen einer solchen Frage aus diesem Grund zu. Die Eltern der kleinen Theresa jedoch stimmten vor allem zu, weil Catherine Miller einer wenige Jahre zurückliegenden Hornhauttransplantation den Erhalt ihres Augenlichts verdankte und sie sich deswegen moralisch verpflichtet fühlten.
Im Anschluss an die Unterschrift der beiden unter das entsprechende Formular wurden bei dem Leichnam des kleinen Mädchens die nötigen medizinischen Werte ermittelt und in das nordamerikanische Transplantationsnetzwerk eingespeist. Für das Herz von Theresa Miller ermittelte der Computer innerhalb von Sekunden als optimalen Empfänger ein Mädchen, das seit einiger Zeit mit akuter dilatativer Kardiomyopathie in einem Krankenhaus von Washington, D.C., lag.
Ihr Name war Alice Taggard.
Das Telefon klingelte früh an diesem Morgen in der Wohnung von Lynn und Charles Walker Taggard. Sie fuhren aus ihrem ohnehin unruhigen Schlaf hoch und waren vor dem dritten Läuten am Apparat. Seit sich die Herzerkrankung ihrer Tochter so verschlimmert hatte, dass sie nur noch warten konnten, entweder auf ein Spenderherz oder den Tod, verbrachte Alice’ Mutter ihre Tage zur einen Hälfte im Krankenhaus und zur anderen damit, eine stetig an Umfang zunehmende Korrespondenz mit der Krankenversicherung zu führen. Ihr Vater, der im Hauptsitz der Central Intelligence Agency in Langley einer Tätigkeit nachging, über die er niemandem Näheres erzählen durfte, auch seiner Frau nicht, konnte sich kaum mehr auf diese Tätigkeit konzentrieren und nahm so oft wie möglich frei. Bei seinen Kollegen stieß er damit auf ein Verständnis, das ihn überraschte, und sein Vorgesetzter erklärte ihm mehrfach, er solle sich keine Sorgen um seinen Job machen, er werde jedes Arrangement befürworten, das er wünsche.
Als Charles W. Taggard an diesem Morgen den Hörer aufnahm, nannte er nur seinen Namen und hielt anschließend die Luft an. Es war die erlösende Nachricht: Sie hätten ein Spenderherz, verkündete der Dienst habende Arzt, die Gewebewerte stimmten optimal überein und es sei schon unterwegs.
Bei Transplantationen zählt vor allem eines: Geschwindigkeit. Ein Herz kann, wenn es gegen Infektionen geschützt und gut gekühlt wird, maximal acht Stunden außerhalb eines Körpers überleben. Während die Ärzte in Ottawa noch dabei waren, das Organ aus dem Körper der kleinen Theresa zu explantieren, liefen auf dem dortigen Flughafen bereits die Triebwerke einer rasch gecharterten Maschine warm, und ein Wagen mit einem in solchen Dingen erfahrenen Chauffeur rollte vor den Eingang des Transplantationszentrums. Kurz nach acht Uhr bestiegen zwei junge Ärzte, die das Herz in einer mit einer speziellen Salzlösung gefüllten Kühlbox transportierten, den zehnsitzigen Jet, der vorrangig Starterlaubnis bekam und um acht Uhr dreißig abhob.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Eltern der kleinen Alice Taggard längst in der Klinik. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen, um ihrer Tochter einen letzten Kuss zu geben, ehe sie in den OP gerollt wurde. Danach blieb ihnen nur zu warten.
So weit lief alles normal. Doch als die Maschine aus Ottawa den Weg bis nach Washington, D.C., gerade zur Hälfte zurückgelegt hatte, kam von der Flugaufsicht die Anweisung, sofort den nächstgelegenen Flughafen anzusteuern und zu landen. Der Pilot erwiderte, dass ein Irrtum vorliegen müsse, er transportiere ein lebendes Organ. Doch noch während er sprach, tauchte ein Kampfjet der US -Luftwaffe über ihm auf, der das Funkgespräch übernahm und sich keinerlei Argumenten zugänglich zeigte. Der Jet mit den beiden Ärzten und dem Herzen an Bord wurde auf einem eigentlich nur für landwirtschaftliche Flugzeuge gedachten Flughafen zur Landung gezwungen.
Man schrieb den 11. September. Terroristen hatten gerade zwei Verkehrsflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Centers gesteuert.
In den folgenden Stunden machte sich in der Klinik ein lähmendes Gefühl von Entsetzen breit. Immer mehr Fernsehgeräte wurden eingeschaltet. Die Arbeit kam zum Erliegen, weil die Menschen wie hypnotisiert vor den Bildschirmen standen und auf neue Meldungen warteten. Und dazwischen, wieder und wieder, die Bilder. Der brennende Turm. Der Einschlag der zweiten Maschine. Und schließlich der Einsturz.
In der Transplantationsabteilung jedoch
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