Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Autounfall, zufällig an demselben Abend, an dem jemand in sein Labor einbricht und alle seine Unterlagen stiehlt? Keins von den Geräten, von denen einige viel wert waren. Nur die Unterlagen. Das war unter Garantie kein Unfall. Das war Mord. Er ist umgebracht worden, weil er sich mit den falschen Leuten angelegt hat.«
»Vielleicht waren da nie Unterlagen? Oder er hat sie verbrannt?«
»Vater?« Frieder gab ein eigentümliches Geräusch von sich, halb Schluchzer, halb ersticktes Lachen. »Vater hat nie auch nur ein Blatt Papier weggeworfen. Und wenn er sich nur zwei Dinge merken wollte, hat er schon eine Liste gemacht. Er konnte überhaupt nicht denken , ohne zu schreiben.«
Markus musste husten. Es tat weh um den Mund herum. »Er hat depressive Phasen gehabt«, sagte er trotzdem. »Oft genug. Scheiße, einmal hat er mein Fahrrad auf den Müll geworfen, weil es ein multinationaler Konzern hergestellt hatte.«
Frieder nickte. Er schien nicht wirklich zugehört zu haben, sondern stattdessen in Erinnerungen zu versinken. »Ja, er hat immer gekämpft. Er hat sich in einem Kampf aufgerieben, in dem er von vornherein nie eine Chance hatte.« Er blinzelte, schüttelte den Kopf kurz und ruckartig, wie um zu sich zu kommen. »Warum hätte er die Vertragsunterlagen vernichten sollen? Die Lizenz, das war doch das, worum es in dem Streit ging!«
»Was ist denn mit Dr. Bär? Hätte der nicht eine Kopie haben müssen?«
»Da hatten sie sich doch schon lange verkracht gehabt.« Frieder fuhr sich mit der Hand über den kurzgeschorenen Asketenschädel. »Das habt ihr nicht so mitgekriegt, Dorothea und du. Ihr wart noch zu jung. Mutter war es, die nach Vaters Tod Dr. Bär wieder angerufen hat, damit er ihr mit all den Behördensachen hilft, und da wollte er erst gar nicht.«
Doch, Markus erinnerte sich. Dunkle, traurige Erinnerungen. Mutter, die im Wohnzimmer leise mit dem Anwalt sprach, immer wieder sagte »Das weiß ich nicht« und »Darüber hat Alfred nie mit mir gesprochen«, und es klang, als schäme sie sich dafür, als habe sie das Gefühl, dass sie hätte Bescheid wissen müssen und als sei es ihre Schuld, dass sie es nicht tat. Dabei war es seine verdammte Schuld gewesen!
Erinnerungen … Im Studentenwohnheim, den Telefonhörer in der Hand, und Frieder, der sagt: »Schlaganfall.« Am Krankenbett, wie sie flüstert: »Was soll ich hier so alleine?« Das Begräbnis, all die Leute, die ihnen kondolieren.
Frieder war derjenige von ihnen, der nach Vater schlug. Er hatte dessen Werte übernommen, kämpfte Vaters Kampf auf seine Weise weiter. Alternative Energien. Seine Firma vermarktete eine von Vaters Erfindungen, eine kleine technische Verbesserung, die es erlaubte, Solaranlagen etwas billiger und mit einem etwas höheren Wirkungsgrad zu betreiben. Eine Erfindung, die dafür gedacht war, Solaranlagen in südlichen Ländern zu betreiben, nicht im düsteren, wolkenverhangenen Deutschland, aber Frieder machte das Beste daraus. Er wollte die Menschheit retten, genau wie Vater. Bloß dass er beherrschter war, rationaler. Frieder fand keine Befriedigung darin, sich aufzuopfern. Er war nicht heißblütig, er war zäh. Ihr Vater wäre stolz auf ihn gewesen.
Markus hatte es sich vorgenommen gehabt, aber er brachte es nicht fertig, Frieder von einer anderen Erinnerung zu erzählen: wie er einmal von einem Schulausflug zurückkam und auf einmal wusste, was das für ein Geruch war, den man oft vor der Tür von Vaters Labor wahrnahm. Es war der Geruch von Most. Sie hatten an dem Tag eine Apfelkelterei besichtigt, und dort hatte er denselben Geruch vorgefunden, den Geruch gärenden Obstsaftes.
Er glaubte nicht an Frieders Verschwörungstheorie, weil er überzeugt war, dass Vater am Schluss in seinem Labor einfach nur Schnaps gebrannt hatte. Er war an der Welt verzweifelt und hatte seine Verzweiflung ertränkt. Und er war verunglückt, weil er zu viel getrunken hatte.
Nein. Das würde er Frieder niemals erzählen.
Kapitel 10
Vergangenheit
J e näher der Oktober rückte, desto wundervoller färbte sich die Landschaft, und Markus genoss den Anblick, auch wenn ihm alle meinten erzählen zu müssen, der »Indian Summer« weit droben im Nordosten sei noch schöner. Ihm war das hier schön genug für den Anfang.
Der Rest des Lokalisierungsteams bereitete sich allmählich auf die Rückkehr vor. Die Mienen waren jetzt, da die Arbeit geschafft war, gelöster, die Stimmung hatte manchmal etwas von Party oder Klassenfahrt. Inzwischen
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