Ausgebremst
eigentlich redete.
«Ich hab schon besser gegessen», antwortete ich, obwohl ich genau wußte, daß er mich nicht nach meinem Sandwich fragte. Aber mit dem Finnen konnte man nicht normal reden.
«Du hast schon besser gegessen!» Er drehte den Kopf verächtlich zur Seite, als würde er eigentlich mit jemandem reden, der seitlich hinter mir stand, ungefähr dort, wo mein kleiner Warmwasserboiler befestig war. «Aber du frißt es trotzdem!» nuschelte er im besten Rosberg-Stil unter seinem Seehundschnurrbart hervor.
«Hast du noch nie einen Menschen ein Sandwich essen gesehen?»
Der Finne nahm wieder meinen Warmwasserboiler unter die Lupe und sagte zu ihm: «Ich rede nicht von deinem Sandwich.»
Es widerte ihn alles so an, daß er sich sogar von meinem Warmwasserboiler noch wegdrehte und sein Blick direkt auf die Wagenburg der TEXUNO-Händler fallen mußte. Vielleicht bekam er auch nur davon seinen angefressenen Gesichtsausdruck.
Wir alle verachteten den TEXUNO-Chef, aber keiner lehnte ihn so aus tiefster Seele ab wie der Finne. Doch der Finne schimpfte nicht wie wir über seine Dumpingpolitik oder darüber, daß er seine Verkäufer wie moderne Sklaven hielt, oder darüber, daß er einen kleinen Händler nach dem anderen aufkaufte. Er schimpfte immer nur über das orangefarbene TEXUNO-Schild, das nach drei Jahren schon fast auf jedem zweiten Fanartikelstand prangte.
«Dieses Orange ist das einzige auf der Welt, was noch häßlicher ist als er selbst», war der Standardsatz des Finnen über den TEXUNO-Chef. Dabei war der Finne selbst nicht unbedingt eine Schönheit. Und sein Urteil über die Farbe war auch mit Vorsicht zu genießen. Schließlich hatte er sie bestimmt noch nie anders als durch den Filter seiner verspiegelten Rosberg-Sonnenbrille gesehen.
In Wahrheit hatte das Auftauchen von TEXUNO für uns auch sein Gutes. Der gemeinsame Feind schweißte uns zusammen, und wir begruben die kindischen Rivalitäten, die es unter uns immer wieder gegeben hatte. Nur das Wettrüsten von Steve und dem Finnen dauerte an. Erst dieses Jahr waren beide mit einem nagelneuen Clou-Liner von Niesmann & Neff aufgetaucht, nach dem sich sogar die Formel-1-Teamchefs neidisch umdrehten. Und Steve redete bereits davon, sich wie Bernie Ecclestone einen Lift in sein Wohnmobil einbauen zu lassen, um die eineinhalb Meter in seine Schlafkoje hinauf nicht zu Fuß gehen zu müssen.
«Wovon redest du dann, wenn nicht von meinem Sandwich?» fragte ich.
Er warf den Wäschesack, den er die ganze Zeit an der rechten Schulter festgehalten hatte, in meinen Wohnwagen. Der Sack war nicht zugebunden, und ich sah gleich, daß sich darin keine T-Shirts befanden.
«Was hältst du davon?» nuschelte der Finne.
Daß ich mich jetzt blöd stellte, erwies sich als Fehler. Obwohl ich den Müllsack im Wäschesack gleich sah, sagte ich: «Was soll ich von deinem Wäschesack halten?»
Der Finne holte den Müllsack aus dem Wäschesack und schüttete mir literweise Löschpulver über meine Schuhe und über den Boden und über alle Sachen, die auf dem Boden verstreut herumlagen. «Was du davon hältst!»
«He!»
«Was he!»
«Mach keine Sauerei.»
«Du machst Theater wegen der Sauerei», sagte der Finne verächtlich zu meinem Warmwasserboiler, den ich trotz des halb abgewandten Gesichts in der Keke-Rosberg-Spiegelbrille erkennen konnte, «aber es ist dir egal, daß unser Kollege Liberante ermordet wurde.»
«Hast du noch nicht gehört, daß es ein Unfall war?»
«Und ich bin ein Schwede.»
Ich war schockiert, wie ernst ihm die Sache offenbar war. Wenn er zu diesem Wort griff, das ihm von allen am schwersten über die Lippen kam, mußte es ihm verdammt ernst sein.
Obwohl die Schweden seit Ronnie Peterson und Gunnar Nilsson keinen Spitzenpiloten und seit Stefan Johansson überhaupt keinen Formel-1-Fahrer mehr gehabt hatten, war der Finne allergisch gegen die Verwechslungen, die er sich in ganz Europa gefallen lassen mußte. Dabei war er nicht einmal blond. Und es war eigentlich so einfach: Er hieß Käkinen, alphabetisch genau zwischen dem Formel-1-Star Häkkinen und dem Rallye-Weltmeister Mäkinen, und keiner von ihnen war Schwede, weil sie alle Finnen waren wie Keke Rosberg.
«Wieso kümmert dich Liberante auf einmal so? Vor zwei Wochen warst du nur um die Sauberkeit seines Wohnwagens besorgt.»
«Du bist wohl ein bißchen schwer von Begriff!» bellte der Finne.
Eigentlich hatte ich schon kapiert, daß er den Tod Liberantes für keinen Unfall hielt
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