Ausgebremst
sich augenblicklich in seinem Wohnmobil verschanzte).
«Ich frage mich, warum so viele Leute das Vermögen für eine Fahrerlagerkarte ausgeben», sagte ich zum Finnen, während wir uns einen Weg durch das Gewimmel im Fahrerlager bahnten.
«Sie bekommen sie nicht geschenkt.»
Auf eine solche Erklärung hatte ich gewartet. «Auf deine Logik ist einfach Verlaß», sagte ich. «Aber würdest du dir eine kaufen, wenn du sie nicht so kriegen würdest?»
«Ich krieg sie aber so.»
«Aber die Leute kriegen sie nicht so.»
«Sag ich ja. Darum kaufen sie sich die Karten.»
«Aber sie sehen ja überhaupt nichts mehr im Fahrerlager. Früher... »
«Früher!» nuschelte der Finne verächtlich. Er hatte offenbar keine Lust, sich über die Leute irgendwelche Gedanken zu machen.
Also wechselte ich das Thema und sagte: «Ein Wunder, daß wir die Karten noch gratis kriegen.»
Er zuckte nur mit den Schultern. Er war sich sicher, daß er immer seine Karte kriegen würde, denn er hatte gute Kontakte zu dem finnischen Treibstoffchemiker, der für die französische Benzinfirma elf arbeitete und zu dem wir jetzt unterwegs waren.
Wir brauchten zehn Minuten, um vom Eingang des Fahrerlagers zu der elf-Wagenburg vorzudringen. Obwohl wir auf der ganzen Strecke keinen einzigen Formel-1-Fahrer zu Gesicht bekamen und nur einmal der Ersatz-Ferrari aus seinem Transporter geladen und weggeschoben wurde, war es stellenweise fast unmöglich, sich durch die Masse von Fahrerlagerkartenbesitzern hindurchzukämpfen.
Immer wieder bildeten sich Trauben hysterischer Autogrammjäger und Amateurfotografen, die sich brutal nach vorn kämpften, nur um dann enttäuscht festzustellen, daß es sich bei dem Prominenten nicht um einen Rennfahrer handelte. Meist war es ein Schlagersänger oder Politiker oder Fußballer, der selbst nur als Fan und Fahrerlagerkartenbesitzer hier war und in der Menge wühlte, um schlußendlich von einem anderen Schlagersänger oder Politiker oder Fußballer ein Autogramm zu bekommen.
Hinzu kam, daß sich dem Finnen immer wieder Autogrammjäger in den Weg stellten, die ihn in seinem typischen Rosberg-Outfit für Keke Rosberg hielten. Ich hatte ihn immer im Verdacht, daß das auch sein Geheimnis war, wie er an die vielen hübschen jungen Frauen herankam, die man bei fast jedem Rennen über die automatische Gangway seines Wohnmobils schreiten sah.
Als wir an der elektronisch gesicherten Tür des rollenden elfLabors läuteten, waren wir binnen Sekunden von einer Schar von Hobbyfotografen mit gigantischen Fotoausrüstungen umringt.
Der Finne sagte etwas in die Sprechanlage, das sehr geheimnisvoll klang, aber nur der Name des finnischen Treibstoffchemikers war.
Als der nach einer Weile die Tür öffnete, stellte er sich zu meiner Erleichterung einfach als Jo vor. Wie der finnische Fahrer J. J. Lehto hatte er offenbar beschlossen, die Formel-1-Welt nicht mit einem finnischen Vornamen zu traktieren.
Die beiden unterhielten sich auch nicht auf finnisch. Das lag bestimmt nicht an der Höflichkeit meines Kollegen, der im Zweifelsfall immer die unhöfliche Variante wählte. Englisch in den unterschiedlichsten Färbungen war einfach die Umgangssprache in der Formel 1, und man merkte es mit der Zeit kaum noch, wenn man zufällig über einen Landsmann stolperte, und sah keinen Grund, deshalb in die Muttersprache zu wechseln.
In Österreich war es sogar einmal zu einem kleinen Aufruhr gekommen, weil Niki Lauda im österreichischen Fernsehen eine auf deutsch gestellte Interview-Frage in Englisch beantwortet hatte. Diese «Angeberei» verzieh man dem Formel-1-Weltmeister erst, als der Sportredakteur am nächsten Tag im Fernsehen das Mißverständnis aufklärte: Neben dem heimischen Fragensteller hatten noch mehrere internationale Fernsehstationen das Interview mitgeschnitten, deshalb ja auch die vielen Mikrofone mit den Aufschriften BBC, RAI oder ABC am unteren Bildrand.
Das ist aber mehr als zwanzig Jahre her, und seither sind auch die Fans viel professioneller geworden. Sogar von den Gefängnisbrüdern hier in Stein ist jeder ein kleiner Medienprofi, und wenn früher die Bezugsquelle von unregistrierten Waffen und falschen Papieren das wichtigste Rüstzeug für einen Schwerverbrecher waren, so hat heute jeder die private Telefonnummer von Vera und den anderen TV-Tratschtanten im Kopf, um zum richtigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu gehen. Auch ich muß versuchen, an diese Nummern heranzukommen, sie sind aber sehr teuer.
Jo bat uns
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