Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
»Bedeutet das, du liebst mich nicht mehr?«
»Es bedeutet, dass ich dich und Clara unbeschreiblich lieb habe, aber mich auch! Ich denke, das Beste wird sein, wir halten noch ein wenig Distanz.« Ich bemerke seine Enttäuschung. Sicher hat er gehofft, ich würde ihn sofort wieder mit offenen Armen aufnehmen. Wortlos gehen wir am Strand weiter, während Tobias ständig auf die Uhr schaut. Er bittet darum, zurückzufahren und ich stimme zu.
Vor der Einfahrt wartet Natascha mit ihrem Neuen.
»Wir wollen mit Clara ins Kino«. Ich griene. Das ist also der Grund für den schnellen Aufbruch.
»Du bist ja ein richtiger Stratege geworden.« Völlig durchgefroren suche ich nach Zutaten für einen Glühwein. Aber die herben Rotweine sind gänzlich ungeeignet für einen wärmenden Punsch. Tobi schlägt vor, stattdessen einen Tee mit Rum zu trinken, aber ich ziehe eine heiße Dusche vor.
»Wenn du magst, kannst du uns jetzt den Kamin anzünden.« Im Bademantel komme ich zurück und setze mich zu ihm aufs Sofa. Gebannt betrachten wir das knisternde Feuer und ich lege kurz darauf entspannt meinen Kopf auf seine Beine.
»Wie lange willst du mich noch hinhalten? Wann bekomme ich endlich mein Geschenk?« Belustigt schaut er mich an.
»Ist es schon Abend?« Er hat vor, mich noch viel länger zappeln zu lassen, greift dann aber doch hinter das Sofakissen und zieht die rote Schachtel hervor. Ich öffne den Deckel und nehme ein faustgroßes, weiß vergoldetes Herz heraus. Es liegt schwer in der Hand. Es scheint schon einmal fast zerbrochen zu sein und wurde vom Künstler in der Mitte kunstvoll mit dicken Strängen wieder verbunden. Auf die glatte Oberfläche hat er wulstige Narben aufgebracht, zwei über Kreuz liegende gelbgoldene Pflaster appliziert und einen krummen Nagel hinein gearbeitet.
»Das hat ein junger Künstler in Barcelona nach der Beschreibung meiner Gefühlslage angefertigt. Ich habe es schon seit dem Sommer. Da waren unsere beiden Herzen noch gebrochen, zerrissen und tief verletzt. Jetzt sind sie wieder auf dem besten Weg der Genesung, oder Marie?«
»Wir müssen künftig besser aufpassen. Viele Pflaster passen nicht mehr drauf!« Nach seinen ersten Küssen und zärtlichen Berührungen läuft mir ein gewaltiger Schauer über die ganzen Körper. Noch länger will und kann ich ihm nicht widerstehen.
Am frühen Abend bringt Natascha die Kleine zurück.
»Wohnen wir jetzt wieder hier«, will sie von ihrem Vater wissen. Tobias schaut mich fragend an.
»Wenn du müde bist, kannst du dich in unser Bett legen.«
»Und wo schlafe ich heute Nacht?«
»Du hast die Wahl zwischen dem Bett in deiner Wohnung oder dem im Gästezimmer.« So hat er sich das nicht vorgestellt. Nach dem innigen Liebesakt war er sich sicher, dass er bereits am Ziel seiner Wünsche ist.
»Du schläfst mit mir und schickst mich trotzdem wieder weg?«
»Wozu die Eile?« Tobias schaut mich stundenlang ungläubig an. Es herrscht eine fremdartige Stimmung zwischen uns. Die Monate der Trennung haben einen Riss in unsere einstige Vertrautheit gebracht. Alles ist anders und es gefällt ihm nicht.
»Vergiss die Distanz! Keine Trennungen mehr. Marie, ich hab Angst, dass wir uns verlieren. Wir haben schon so viel Zeit vergeudet. Wenn du mich nicht hier haben willst, dann komme mit in die Wohnung, aber schicke mich nicht mehr weg!« Ich gehe zum Schreibtisch und öffne eine Schublade, in der mein Weihnachtsumschlag liegt.
»Ich habe ein Ticket erster Klasse nach Miami von Frederik bekommen. Was hältst du davon, wenn wir es gegen drei Flüge in der Holzklasse einlösen und die restlichen, schulfreien Tage mit Clara zusammen verreisen. Es muss ja nicht Florida sein. Ich habe den ganzen Sommer durchgearbeitet. Ein paar Tage Sonne wären doch recht schön. Was meinst du?«
»Urlaub mit dir ist eine tolle Idee!« Zusammen durchsuchen wir die online Reiseportale nach Last Minute Restplätzen und entscheiden uns für neun Tage Cluburlaub auf den Kanaren. Ich telefoniere mit der Fluggesellschaft und bestätige die Buchung noch am gleichen Abend. Clara hat das elterliche Doppelbett für sich allein. Die schmale Matratze des Gästebettes reicht uns beiden für die letzte Nacht vor unserer Abreise völlig aus.
Wir stechen Clara am frühen Morgen mit den Fingern ins Gesicht. Das erste Mal sind wir vor ihr wach und wollen sie mit der freudigen Nachricht über den
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