Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
grölt die pummelige Anette in Richtung der Zugereisten. Ich nehme dankend an. Birgit ist Lehrerin an einer Ganztagsschule im Landkreis und unterrichtet Deutsch und Geschichte. Monatelang hat sie vergeblich eine bezahlbare Wohnung im südlichen Hamburg gesucht.
»Gehst du joggen?«, fragt sie mich. Noch bevor ich dazu komme, mich mit meiner schlechten Kondition herauszureden, ruft eine grauhaarige Landfrau durch den kleinen Saal: »Sag mal Marie, bist du die Marie aus dem Fernsehen? Die von der Kosmetik Küss mich Kirsche?« Mit einem Mal verstummen die Gespräche an der großen Tafel und alle Landfrauen schauen mich an.
»Ja, das bin ich. Gehörst du etwa auch zu meinen Kundinnen?«
»Schon seit der ersten Sendung«. Der Grauschopf ist ganz aufgeregt.
»Ich bin die Ilse und ich hab sogar schon einmal während der Sendung mit dir telefoniert. Erinnerst du dich?« Ich kann mich nicht erinnern. Gern möchte ich das Thema auf etwas anderes lenken, aber das lassen die Landfrauen nicht zu. Zu sehr sind sie über den Promi Zuwachs in ihrer Frauengruppe erfreut.
»Du Marie, die Riess ist doch lesbisch, oder? Ich habe das in der Zeitung gelesen. Die soll mit einer Frau zusammen leben, stimmt das?«
»Was für Kosmetik?«
»Aber nett ist die.«
»Wie alt ist die eigentlich?«
»Kann ich bei dir direkt einkaufen?«
»Nicht eine Falte, sage ich dir.«
»Wo produzierst du denn deine Kosmetik?«
»Ich nehme nur Nivea!«
»Ja, die war ja nicht immer lesbisch.«
»Hast du auch was ohne Parfum?«
»Du, Marie?«
»Ich vertrag ja gar keine Kosmetik.«
»Ist das eigentlich wirklich immer live?«
»Marie, hör mal.«
»Beruhigt euch, Mädels! Ich gebe euch jetzt noch einen Prosecco zum Einstand aus und dann versprecht ihr mir bitte, nur die Nachbarin in mir zu sehen.« In Hamburg würde kein Hahn nach mir krähen. Das ist mal Fakt. Zusammen mit Birgit verlasse ich die muntere Gruppe.
»Ich hätte ja gern noch ein Glas Prosecco getrunken, aber ich musste da dringend weg«. Birgit lacht. Sie hat sofort bemerkt, dass mir die Aufregung um meine Person peinlich und unangenehm ist.
»Magst du noch mit zu mir kommen, ich hab noch eine Flasche Sekt im Kühlschrank.«
»Zu mir ist es näher.« Ich öffnete eine Flasche Weißwein und rieche am Korken. Supermarktqualität! Es wird Zeit, bald bei Kerstin Nachschub zu holen. Die drei Euro mehr sind immer richtig investiert. Birgit erzählt von ihrem Freund Tobias, der als Fotograf arbeitet und noch in Hannover wohnt und nur an den Wochenenden zu ihr kommt. Nach den Sommerferien hofft sie, eine feste Planstelle zu bekommen.
»Erst wenn das in trockenen Tüchern ist, können wir die Wohnung in Hannover aufgeben.« Spätestens dann, muss sich die Lehrerin nach einer größeren Wohnung umsehen. Hamburg wäre toll. Aber unbezahlbar.
»Was ist nun mit Joggen?«
»Komm lieber anschließend auf einen Kaffee bei mir vorbei. Sport und ich, das passt gar nicht.«
Den Nachmittag verbringe ich vor dem Fernseher und sehe meinem Schuhkollegen zu, wie er seine Restposten an die Frau bringt.
»Du schuldest mir noch was!« Die Ostersendungen, die ich für ihn übernommen hatte, waren erwartungsgemäß nur mittelprächtig verlaufen. Mir ist langweilig und ich trinke statt eines Kaffees den Rest Weißwein aus. Als Steffen am Abend aus Hamburg kommt, liege ich beduselt auf dem Sofa.
»Hattest du einen schönen Tag?« Ich erzähle ihm vom Treffen der Landfrauen und der Begegnung mit der netten Birgit.
»Hauptsache, du hast mich nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr angemeldet.«
»Nee, aber morgen Abend ist Schützentreffen, da musst du unbedingt hin«, lache ich. Nach dem Abendessen im Garten verzieht Steffen sich mit einer Flasche Bier vor den Fernseher.
»Alt werde ich heute nicht.«
»Morgen können wir zusammen nach Hamburg fahren.«
»Das wird nicht gehen. Du musst zu Hause sein. Der Wirt bringt die Tische und die Schankanlage. Das habe ich so mit ihm abgesprochen.« Ich stelle die Teller in die Spülmaschine und sprenge den jungen Rasen. Als ich ins Schlafzimmer komme, schläft Steffen schon tief und fest und schnarcht.
»Könnt ihr nicht zu mir kommen? Ich sitze hier heute fest und warte auf den Catering Mann.« Sophie ist von meinem Vorschlag nicht begeistert, stimmt aber zu. Eine Stunde später fahren Maike und sie
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