Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Matthies
Vom Netzwerk:
Teufel sind Bea und von Sieversdorf hin? Dass keiner von denen irgendwo auftaucht, kann doch nur bedeuten, dass entweder mindestens einer von ihnen tot ist oder beide etwas zu verbergen haben.«
    Endlich gelingt es mir, das Bild von Giacomo durch das von Elsa zu ersetzen: Selig lächelnd läuft sie auf mich zu, ihre zarten Vorderpfoten von sich gestreckt, während der Wind zärtlich durch die feinen Härchen ihres Silberfells streicht. Wir wissen beide: Es wird nicht einfach. Erdmännchen und Chinchillas sind verschieden. Doch so verschieden nun auch wieder nicht. Beide Spezies haben Pfoten mit vier Zehen. Es ist nur eine Frage der Sichtweise: Die einen werden immer nur die Unterschiede sehen. Nicht aber Elsa und ich. Wir sehen die Gemeinsamkeiten. Und unsere größte Gemeinsamkeit ist unsere Liebe füreinander.
    »Sie haben Atze umgelegt und sind gemeinsam geflohen«, sage ich mit fester Stimme.
    Phil runzelt die Stirn. »Die nicht mehr ganz Schöne und das zahnlose Biest?« Jetzt macht er, was er die ganze Zeit über vermieden hat: Er greift zu seinem Flachmann und genehmigt sich einen Schluck. Scheint nicht zu helfen. »Ich sag dir was, Ray. Seit ich dich kenne, reite ich mich jeden Tag ein Stück tiefer in die Scheiße. Das alles führt zu nichts. Ich gebe uns noch genau vierundzwanzig Stunden, dann gehe ich zu Constanze und sage ihr, dass ich die Polizei einschalte. Von dem alten von Sieversdorf weiß die Kripo nämlich noch gar nichts. Und mir wird langsam der Boden unter den Füßen zu heiß. Was ich bis jetzt an Beweismitteln unterschlagen habe, reicht bereits, um mich für zwei Jahre in den Knast zu bringen. Und jeden Tag kommt etwas Neues dazu.«
    Constanze, denke ich. So, so. Constanze also. Dann ist auch der Rest dessen eingesickert, was Phil gerade gesagt hat – das mit der Kripo. Wenn die noch eine weitere Leiche im Zoo vermutet, noch dazu eine, die einigermaßen prominent ist, dann graben die wahrscheinlich den gesamten Laden um. Und wir fliegen auf.
    »Okay«, sage ich. »Wonach suchen wir?«
    Phil sieht sich um. Dreht sich um die eigene Achse. Als sei er gerade aufgewacht und habe keine Ahnung, wie er ausgerechnet hierher gekommen ist. »Ich weiß es nicht, Ray. Hanno von Sieversdorf und Bea Schmidts. In dieser Reihenfolge. Von mir aus auch nur Hanno von Sieversdorf. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo wir noch suchen sollen.« Er steckt eine Hand in die Tasche, wo sie sich um den eingepackten Revolver schließt. »Vierundzwanzig Stunden, Ray. Danach bin ich raus. Bis morgen.«
     
    Vierundzwanzig Stunden. Danach bin ich wieder der alte Ray, der morgens seine Runden dreht, einen auf lässig macht, am Ende aber von den meisten Tieren belächelt und nicht respektiert wird. Es sei denn, wir finden vorher Hanno von Sieversdorf.
    Seit Phil gegangen ist, liege ich in meiner Kammer und versuche, eine Position zu finden, in der ich nicht ständig daran denken muss, dass morgen mein so plötzlich aufgegangener Stern bereits wieder verblassen könnte. Ich wälze mich von einer Seite auf die andere, grabe mich zur Hälfte in die Erde ein, klemme den Kopf zwischen die Hinterbeine, verschränke die Krallen vor meinem Gesicht, verknote die Vorder- mit den Hinterbeinen, krümme mich zu einer lebenden Schaukel und wippe hin und her.
    Die Vorstellung, nicht der nächste Clanchef zu werden, ist wie einer von Rockys Sidekicks in die Leiste: ist echt unangenehm und zieht dir die Beine weg, doch bald darauf lässt der Schmerz nach, und kurze Zeit später humpelst du schon wieder ganz anständig durch die Gegend. Der Gedanke an Elsa dagegen schmerzt wie eine schleichende Vergiftung: Du kannst sie nicht lokalisieren, und statt in ihrer Wirkung nachzulassen, befällt sie nach und nach immer mehr Organe deines Körpers. Seit Giacomo, dieser blasierte Italo-Schwabbelchinchilla, sich in ihrem Käfig fläzt, nimmt Elsa ohnehin kaum noch Notiz von mir. Und wenn ich erst wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückgesunken bin, wird auch unsere Beziehung sein wie früher: nicht existent.
    Das Beben setzt ein, als ich die Edelstein-Haarspange, die Kong mir gegeben hat, an meinem Fell reibe. Zugegeben: Ich bin schon eine ganze Weile damit beschäftigt, die Diamanten zu polieren. Inzwischen funkeln sie wie von innen heraus – wie Sehnsüchte in einem Traum. Dann spüre ich die Erschütterung. Panisch drücke ich die Spange an die Brust und will aus dem Bau stürmen, als mir klar wird, dass es rhythmisch wiederkehrende

Weitere Kostenlose Bücher