Ausgefressen
uns aber nicht leisten. Die Rebhühner haben Angst im Dunkeln, die Entenvögel fürchten sich vor hohen Gebäuden. Außerdem waren die Stelzvögel beleidigt, weil …«
»Schon gut«, unterbricht Phil. »Hoffen wir einfach darauf, dass die verbliebene Truppe unseren Mann finden wird.«
Phil hat den Satz gerade beendet, da fällt uns ein dicker Graupapagei vor die Füße. »Sorry … Leute«, japst er. »Aber … ich kann … keinen … Schlag mehr … fliegen.« Er atmet keuchend und streckt die Flügel von sich.
Phil dreht sich irritiert um. »Hab ich den nicht eben erst da hinten rausgelassen?«
»Was ist los?«, frage ich den Papagei. »Bist du krank oder so?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich fliege in der Voliere nur hin und her. Ich bin einfach keine langen Strecken mehr gewöhnt.«
»Und? Was sagt er?«, will Phil wissen.
»Er hat eine sehr seltene Papageienkrankheit«, improvisiere ich. »Eine Flügel… ähm … dings… antizi… ähm …« Weiter weiß ich nicht.
»Eine Flügel… was?«, fragt Phil.
»Ist doch jetzt egal«, winke ich ab. »Warten wir einfach, was die anderen Kundschafter nach Hause bringen.«
Obwohl ich mir Mühe gebe, Zuversicht auszustrahlen, habe ich gerade das dumme Gefühl, unsere Aktion könnte ein Fiasko werden.
Wie sich bald herausstellt, ist der Graupapagei keine Ausnahme. Auch die anderen Kundschafter trudeln schneller wieder im Zoo ein, als uns lieb ist. Die meisten sind mit ihren Kräften am Ende, manchen war es auf dem Flug zu kalt oder zu warm, einige klagen über Schwindelanfälle, Höhenangst oder unberechenbare Windböen. Die wenigen Vögel, die es überhaupt bis zu den Hochhäusern geschafft haben, können uns nicht sagen, ob wir Hanno von Sieversdorf dort finden werden. Kein Wunder, denn nur ein Bruchteil der Wohnungen ist observiert worden. Obendrein fehlt ein Prachtfink, der nach Aussage eines Wellensittichs auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist, um seiner Ehe zu entkommen. Der Fink hinterlässt nicht nur eine Frau, sondern auch vier Eier.
Kurzum, mein Plan, den alten von Sieversdorf per Luftaufklärung zu finden, ist pompös gescheitert. Obwohl Phil so tut, als sei das kein Beinbruch, kann ich ihm die Enttäuschung ansehen. Er hat sehr darauf gehofft, dass wir den Fall doch noch auf eigene Faust lösen.
»So ist das manchmal. Man hat nicht immer Glück«, sagt er leise.
Ich schaue ihn an und überlege. Rufus versucht, den Ausdruck in meinen Augen zu lesen, und errät tatsächlich, was ich vorhabe.
»Vergiss es, Ray! Denk jetzt einfach an was anderes! Und zwar sofort!«
Ich sehe ihn an und grinse. »Aber es ist unsere einzige Möglichkeit.«
»Was ist unsere einzige Möglichkeit?«, fragt Phil.
»Bitte nicht, Ray«, fährt Rufus fort. »Wir haben es versprochen. Du kannst nicht einfach einen Familienbeschluss über den Haufen werfen.«
»Und warum nicht?«
»Weil wir mordsmäßigen Ärger kriegen.«
»Wieso? Es muss nicht mal jemand erfahren.«
»Könnt ihr mir gefälligst mal sagen, wovon ihr sprecht?«, blafft Phil.
»Er will den Adler rauslassen«, sagt Rufus.
Phil sieht mich fragend an. Ich nicke.
»Wenn Otto jemanden aus unserem Clan angreift, dann wirst du dir das nie verzeihen«, mahnt Rufus.
»Ich vertraue Otto«, erwidere ich.
»Das hat nichts mit Vertrauen zu tun. Er ist ein Weißkopfseeadler. Und er kann sich genauso wenig gegen seine Instinkte wehren wie alle Tiere.«
Vielleicht hat Rufus recht. Ich sollte den Clan keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Und meinen kleinen Bruder auch nicht. »Gut. Dann gehst du jetzt zum Bau, warnst die anderen und bleibst dann da.«
Rufus stutzt. »Aber dann wissen doch alle Bescheid.«
»Sag ihnen einfach, dass der Adler ausgebrochen ist. Sie sollen sich verstecken, bis ich Entwarnung gebe.«
Rufus scheint unentschlossen, ob er mich allein lassen kann.
»Na los! Geh schon!«, sage ich.
Er drückt mich an sich. »Viel Glück, Bruder.«
Dann dreht Rufus sich um, und nach wenigen Schritten verschluckt ihn die Dunkelheit.
Otto erwartet mich bereits.
»Hab schon gehört, dass deine Mission gescheitert ist«, beginnt er. »Kein Wunder, wenn du mich fragst. Ich glaube, nur die Fledermäuse sehen noch schlechter als die Trillerpfeifen, die du losgeschickt hast.«
»Steht dein Angebot noch?«, falle ich mit der Tür ins Haus.
Ottos Adlerblick trifft mich wie ein heißer Sonnenstrahl.
»Wie war das doch gleich? Ich sage dir, wo diese Bea ist, du gibst mir dafür fünfzig Mäuse. Und zwar
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