Ausgefressen
suchen. Sie macht sich große Sorgen, weil ihr Vater …«
»Es tut mir sehr leid, dass sie den Weg umsonst gemacht haben«, unterbricht Bea energisch und will die Tür schließen.
»Mit mir müssen Sie nicht reden, mit der Polizei schon«, beeilt sich Phil zu sagen, bevor sie ihn nicht mehr hören kann.
Bea hält inne. In ihren Augen sind Wut und Angst zu lesen, aber auch Empörung darüber, dass Phil sie nicht in Ruhe lassen will.
»Ist schon okay, Bea«, hört man nun eine Männerstimme aus dem Hintergrund sagen. »Mach die Tür auf. Es ist vorbei.«
Bea zögert, atmet durch und schließt die Tür. Man hört, wie die Kette entfernt wird, dann ist der Blick in ein geräumiges, helles Zimmer freigegeben.
Hanno von Sieversdorf steht in der geöffneten Balkontür. Er trägt bequeme Klamotten, hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und wirkt irgendwie zerbrechlich. Ich erinnere mich an sein Foto. Aus dem silbergrauen Gentleman ist ein älterer Herr mit müden Augen geworden. Dennoch wirkt er entspannt und keineswegs unglücklich, wie er da so in der Sonne steht.
»Freut mich wirklich sehr, Sie gesund anzutreffen«, höre ich Phil sagen.
Im gleichen Moment ist ein dumpfer Schlag zu hören. Phil stöhnt auf, ich spüre, dass er wankt. Dann sehe ich durch mein Guckloch den Boden auf mich zurasen. Der Aufprall ist schon schmerzhaft genug, noch schmerzhafter ist jedoch Phils Körper, der auf mich stürzt wie ein riesiger Brocken Lehm und mir sofort die Luft nimmt. So ähnlich hätte es sich wahrscheinlich angefühlt, wenn ich von diesem Doppeldeckerbus überfahren worden wäre.
»Was hast du getan?«, höre ich Hanno von Sieversdorf entsetzt fragen.
»Es ist die einzige Möglichkeit«, erwidert Bea verzweifelt.
Ich schnappe vergeblich nach Luft. Nach allem, was ich in letzter Zeit durchgemacht habe, wäre es höchst albern, wenn ich jetzt am Anfang einer vielversprechenden Detektivkarriere von meinem Partner erdrückt würde. Leider sieht es gerade ganz danach aus.
Ich höre, dass Bea und Hanno miteinander reden, kann jedoch nicht verstehen, was sie sagen, weil sie auf den Balkon gegangen sind.
Immer noch habe ich keinen Atemzug getan. Ich bin in Panik, und mir wird schwindelig. Ich muss jetzt drastische Maßnahmen ergreifen. Tut mir echt leid, Kumpel, aber es geht nicht anders. Ich drehe meine messerscharfen Krallen nach oben und jage sie mit aller Kraft in Phils Körper. Das hat normalerweise etwa die gleiche Wirkung wie ein Tarantelbiss. Zu meinem Entsetzen geschieht jedoch absolut nichts. Phil hat einen so heftigen Schlag auf den Kopf bekommen, dass seine Reflexe schlicht ausgeknipst sind. Ich spüre Verzweiflung in mir aufsteigen.
Für einen Moment wird mir schwarz vor Augen. Ich winde mich und versuche, meine Position wenigstens dahingehend zu verbessern, dass ich ein klitzekleines bisschen atmen kann. Aber Phils Körper liegt auf mir, als würde er mich in den Boden drücken wollen. Der Boden! Als er eben auf mich zuraste, habe ich gesehen, dass es sich um einen Holzboden handelt. Wenn ich atmen könnte, würde ich ihn jetzt riechen.
Ich liege lang ausgestreckt unter Phil, weil ich beim Sturz instinktiv die Vorderläufe gehoben habe, um mich abzustützen. Nun drehe ich meine Klauen wieder nach unten und drücke die Krallen ins Holz. Ich ziehe und zerre, und obwohl der Sauerstoffmangel mich langsam benebelt, mobilisiere ich Bärenkräfte. Gut, vielleicht nicht Braunbärenkräfte, aber immerhin Waschbärenkräfte. Und das Wunder geschieht. Mein Körper schiebt sich Millimeter um Millimeter nach vorn. Ich spüre, wie Luft in meine Lungen gelangt. Zunächst kann ich nur flach atmen, dann immer tiefer. Mann, tut das gut! Erneut schlage ich meine Krallen ins Holz und nun, da der Anfang gemacht ist und ich außerdem wieder atmen kann, fällt es mir fast leicht, mich Stück für Stück unter Phil hervorzuarbeiten. Und dann ist es geschafft. Erschöpft lasse ich mich auf den Rücken fallen, strecke alle viere von mir und atme tief durch.
»Hanno, es ist mir völlig egal, wohin wir gehen!«, höre ich Bea sagen. Sie klingt gehetzt. »Nur lass uns verschwinden, solange noch Zeit ist.«
Abrupt setzte ich mich auf und sehe über Phils Bauch hinweg Bea und Hanno auf dem Balkon stehen. Er redet beschwichtigend auf sie ein, zu leise, um zu verstehen, was er sagt. Ich werfe einen Blick auf Phil. Von dem ist gerade keine Hilfe zu erwarten. Eigentlich hat er Glück, wenn er sich mittelfristig wieder an seinen
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