Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
als Konsument. Jeder, der sich nicht entscheidet, entscheidet sich in Wahrheit doch für etwas – und das ist selten etwas Gutes. Denn er entscheidet sich dafür, dem Mainstream zu dienen, ihn noch zu verstärken. Aber Mainstream bedeutet fast immer eine Verschlechterung, und wenn auch nur eine langsame, schleichende, kaum spürbare Verschlechterung. Das ist wie bei einer Kolonie Pinguine auf einer Eisscholle. Wenn alle in eine Richtung laufen, kippt die Scholle, und alle fallen ins Wasser. Dabei ist es völlig egal, in welche Richtung sie laufen – sie müssen nur dem Rand zu nahe kommen, dann geht es abwärts.
Hätten wir im 19. Jahrhundert per Volksentscheid abgestimmt, ob wir Stromleitungen bauen wollen, wir hätten heute noch Kerzenlicht. Hätte jemand eine Abstimmung durchgeführt, ob es eine kluge Sache wäre, das Automobil zu erfinden, dann würden wir heute noch immer mit Pferdekutschen fahren. In der gesamten Menschheitsgeschichte haben immer einzelne Menschen große Veränderungen durchgesetzt, weil sie einfach das gemacht haben, was sie für richtig hielten, und nicht das, was alle machten.
Natürlich: Dass es so etwas wie eine Schwarmintelligenz gibt, ist wissenschaftlich gut dokumentiert. Beispielsweise sind Menschen sehr gut darin, Einschätzungen über Fakten abzugeben, wenn sie das in großen Massen tun und man dann einfach den Durchschnitt aller Meinungen bildet. Wenn Sie beispielsweise ein paar Tausend Kugeln in ein großes, zylindrisches Glas füllen und tausend Menschen fragen, wie viele Kugeln sich schätzungsweise im Glas befinden, wird die kollektive, durchschnittliche Antwort verblüffend nah an der Realität liegen.
Aber Forscher der ETH Zürich haben, einem Bericht von
Spiegel Online
zufolge, 14 in einem Experiment nachgewiesen, dass es auch so etwas wie Schwarmdummheit gibt: Lässt man die Teilnehmer einer solchen Befragung über die Einschätzungen der anderen diskutieren, macht man die Meinungen der anderen öffentlich und vernetzt die Befragten untereinander, dann wird sich im Meinungsbild ein Trend herauskristallisieren, der von der richtigen Antwort immer weiter wegführt. Je länger der Schwarm im Kollektiv an der Lösung herumdoktert, desto falscher wird die kollektive Antwort ausfallen. Denn wenn die Menschen beginnen, hintereinander herzulaufen und sich gegenseitig anzupassen, entsteht ein chaotisches Schwarmverhalten, das nicht zielgerichtet, sondern völlig willkürlich funktioniert.
Der Kipppunkt zwischen Schwarmintelligenz und Schwarmdummheit ist die Vernetzung des Schwarms. Wir Menschen sind hervorragende Demokraten, solange wir unsere Stimme nach der Meinung abgeben, die wir uns selbst gebildet haben. Das schwarmintelligente Abstimmungsergebnis wird immer gutes Personal und gute Wahlprogramme auswählen. Sobald wir aber vor einer Wahl uns im Fernsehen all die Stimmungsbarometer, Prognosen und Wahltrends reinziehen und uns damit vom Kollektiv und von den Medien beeinflussen lassen, schlägt die Schwarmintelligenz in Schwarmdummheit um. Und das erklärt vielleicht auch die so oft beschworene Politikverdrossenheit, die grassierende Unzufriedenheit mit den gewählten Politikern. Das Ganze wird noch verstärkt durch deren fatale Neigung, ihre eigenen Meinungen nach den Meinungsumfragen zu richten und so eine schwarmdumme Stimmungsbarometerpolitik zu betreiben. Die Scholle kippt, der ganze Trupp gerät ins Rutschen.
»Nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will«, sagte Goethe.
Für den Konsum und die Wirtschaft gilt das Gleiche: Wer der Meinung ist, man müsse etwas machen, weil man das so macht beziehungsweise weil alle das so machen, der trollt nach, ohne zu wissen, was er will, übernimmt eine Lemmingrolle und rennt Schulter an Schulter auf den nächstbesten Abgrund zu. Wer glaubt, man müsse Produkte billiger machen, weil alle das so machen, wer glaubt, man müsse Lieferanten erpressen, weil alle das so machen, wer glaubt, man müsse billigen Plastikramsch kaufen, weil alle das so machen, wer glaubt, man müsse Fernsehen glotzen, weil alle das so machen, wer glaubt, man müsse Wasser in Plastikflaschen abfüllen, weil alle das so machen, wer glaubt, wer glaubt, wer glaubt … der entscheidet sich ganz allgemein für die Abwärtsspirale, für die Verschlechterung.
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