Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
Gefühl geben, hoffentlich.
Eine der Garderobentüren auf dem Weg zum Sendesaal stand offen. In der Garderobe saß auf einem hohen Hocker der Kinderstar Susi Sommer und starrte in den Spiegel. Ich trat ein. Warum war dieses Kind immer allein? Hatte es davon schon gehört?
Susi Sommer sah mich im Spiegel hereinkommen und drehte sich um. Ihre Zöpfe waren so fest geflochten, dass sich an den Schläfen die Haut spannte und feine lila Adern sichtbar waren.
„Magst du einen Kaugummi?“, fragte sie. „Ich habe die Sache von Langthaler gehört und da ist mir schlecht geworden. Jetzt kaue ich einen Kaugummi.“
„Wo ist denn dein Manager?“
„Mein Vater?“
Richtig, ihr Vater war der Manager.
„Ja, dein Vater und deine Mutter.“ Bei den Proben war auch immer eine unscheinbare Frau in ihrer Nähe gewesen.
„Ich habe sie hinausgeschickt, sie sollen mir einen kalten Apfelsaft holen. Ich habe gesagt, dass ich sonst nicht auftrete.“
„Und sie haben dich ganz allein gelassen?“
„Sonst hätte ich geweint. Und ich bin schon geschminkt. Und ich bin in zehn Minuten dran. Und Sie müssen jetzt auch gehen. Ich muss mich konzentrieren.“
Ein Herzchen! Aber vielleicht war das auch nur der Schock.
„Und du weißt schon, dass er …“
„Dass er von seinem Scheinwerfer erschlagen worden ist? Das weiß ich. Heimo hat es mir gesagt. Der Regieassistent. Aber ich will nicht darüber reden.“
Ich konnte dieses Kind doch nicht allein lassen. Da bemerkte ich, dass auf dem Waschbecken eine Medikamentenschachtel stand. Sie sah der von Downhill-Sepp verdammt ähnlich.
„Was hast du da für Medikamente?“
„Das geht Sie nichts an, das ist meine Privatsphäre.“
Ich ging zum Waschbecken. In der Packung waren Betablocker.
„Nimmst du das Zeug auch?“
„Alle nehmen es.“ Das klang ganz gelangweilt.
„Warum?“
„Irgendjemand hat damit angefangen. Man bleibt so schön cool davon, aber sonst tut sich nichts. Aber das geht Sie gar nichts an. Das sind keine Drogen.“
„Habe ich auch nicht behauptet.“
Aus dem Lautsprecher hallte der Hit „Wenn du weinst, bist du am schönsten, denn deine Tränen sind wie Perlen“. Grauenvoll.
Susi Sommers Eltern hetzten herein. Der Vater wurde sofort aggressiv. Ich ging.
Joe führte durch die Sendung, als ob nichts geschehen wäre. Die ganze Volkstümelei kam mir heute besonders verlogen vor. Ich blieb einige Minuten auf meinem Platz im Sendesaal sitzen, nahm dann meine Tasche und restaurierte mich, so gut es ging, im Waschraum der nächsten Toilette. Wieder sah ich die Fleischmasse vor mir, die einmal das Gesicht von Langthaler gewesen war. Dagegen war Downhill-Sepp friedlich gestorben. Letzte Woche der Sänger, diesmal der Regisseur. Und nächste Woche? Oder war das alles bloß ein unglaublicher Zufall? Ich schüttelte den Kopf. Bis jetzt war Joe nichts passiert. Ich hatte Angst. Wenn die Polizei so engagiert weiterermittelte wie bisher, würde die ganze Volksmusikszene bald ausgerottet sein. Vor einigen Tagen hätte mich dieser Gedanke – rein theoretisch natürlich – noch amüsiert. Das war jetzt anders. Trotz des Hirsches auf der roten Trachtenjacke. Auch die Frohsinn-Mädel – nicht, dass sie jemals zu meinen besten Freundinnen zählen würden, aber sie machten ihre Arbeit. Nicht mehr und nicht weniger. Keine von ihnen sollte sterben. Nicht einmal das größte Ekel hatte das verdient, was Langthaler widerfahren war. Erschlagen von einem Scheinwerfer. Matsch.
Ich öffnete die Tür zum Gang. Ein schlanker Mann um die vierzig blickte sich ein paar Meter von mir entfernt verstohlen um. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Und zumindest vom Sehen her kannte ich inzwischen alle, die an der Produktion beteiligt waren. Nur sie hatten Zugang zu den internen Räumen des Fernsehgebäudes, das Publikum wurde durch einen eigenen Korridor hereingeschleust. Alle Mitarbeiter hatten Identifikationskarten. Dieser Mann nicht. Ich drückte mich gegen die Wand und schlich ihm nach. Er schien sich auszukennen. Was suchte er? Wer sagte, dass es nicht schon heute ein weiteres Opfer geben sollte? Mein Herz klopfte so stark, dass ich es spüren konnte. Kein Mensch war sonst unterwegs. In diesem Bereich waren Toiletten und um die Ecke Zimmer der Sendungsleute und einige Garderoben. Ich hatte keine Waffe. Er aber hatte die rechte Hand fest in der Jackentasche vergraben. Ein Wahnsinniger. Was nützte es mir, heldinnenhaft und bald tot zu sein? Aus einem Lautsprecher dröhnte das Lied
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