Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
du weißt schon.“
Joe grinste abwesend. Er wirkte müde und angespannt.
„Dir geht es nicht so gut, oder?“
„Eine Livesendung schlaucht, egal, was sonst noch passiert.“
„Ich werde ihnen das mit dem Heinrich sagen.“
„Ich weiß nicht, ob ich heute noch …“
Sehr schnell erwiderte ich: „Ist wohl besser so.“
„Und du?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab’ morgen mit Sicherheit jede Menge zu tun. Kein freier Sonntag, nach allem, was passiert ist.“ Ich bemühte mich um Distanz. Immerhin hatten wir vereinbart, in der Öffentlichkeit nicht auf Romeo und Julia zu machen. „Ich bin wohl auch müde“, murmelte ich.
„Ich hätte gemeint, dass wir uns vielleicht doch noch heute sehen. Je nachdem …“
Ein Kriminalbeamter unterbrach ihn und bat Joe, ihm zu folgen.
„Mira Valensky“, sagte ich, „vom Magazin. Ich …“
„Kein Kommentar. Für Presseauskünfte ist nur der Chefinspektor zuständig. Und auch der wird heute Abend …“
„Ich will nichts wissen, ich habe etwas gesehen.“
„Dauert es lange?“
Nicht soviel Begeisterung bitte! „Bloß eine halbe Minute.“
„Dann warten Sie bitte noch ein wenig, Herr Platt, ich hole Sie, wenn Chefinspektor Müller mit Frau …“
„Valensky.“
„…Valensky fertig ist.“
Wir waren schnell fertig. Zuerst vermutete Müller eine Finte. Dann wollte er von mir wissen, woher ich überhaupt erfahren hatte, dass man bei Downhill-Sepp einen ganzen Cocktail von einschlägigen Medikamenten gefunden hatte. Was glaubte er? Dass ich meine Informanten preisgab? Als ich ihm vom umherschleichenden Heinrich erzählte, reagierte er gänzlich unbeeindruckt. Herzlichen Dank, er würde ihn morgen kontaktieren.
„Ich glaube zwar nicht, dass er mit der Sache zu tun hat, aber was weiß man?“
„Deswegen werden wir ihn auch befragen.“
Als ich ins Sitzungszimmer zurückkam, war es beinahe leer. Lediglich die beiden Assistentinnen, der Regieassistent und zwei Kameraleute standen noch herum. Ich ging unschlüssig auf sie zu. Vielleicht konnte ich doch noch die Zeit totschlagen, bis Joe fertig war. „Ein schlimmer Abend“, begann ich. Sie sahen mich genervt an. Wenn ich jetzt sagte, dass ich sie nicht aushorchen wollte, würden sie mir schon gar nicht glauben. Also musste Heinrich herhalten. Selbst schuld.
„Ich habe Siegbert Heinrich gesehen, hier, heute Abend, nicht im Sendesaal, sondern im Gang. Ohne Ausweis.“
Nur eine der Assistentinnen wusste mit dem Namen etwas anzufangen. Also war er doch nicht die Volksmusikgröße, für die er sich hielt. „Der ist okay“, sagte sie.
„Okay? Aber er schimpft auf die volkstümliche Musik so, dass man auf die Idee kommen könnte …“
Ein Kameramann streckte sich. „Nicht mehr heute. Haben Sie nie genug?“
Und wie ich genug hatte. Genug von der Volkstümelei, genug von Toten und genug von meiner Herumschnüffelei für das Magazin. Kann schon sein, dass es mir auch um Joe ging. Um Gerechtigkeit, Aufklärung, was weiß ich. Aber es ging auch um die nächste Story. Ich hatte genug von mir. Ich wünschte allen eine erträgliche Nacht und ging nach draußen zum Taxistandplatz. Es war fast Vollmond. Über den Himmel zogen ein paar dramatische, hell beleuchtete Wolkenfetzen. Ein Windstoß schlug mir die Autotür fast aus der Hand. Ob ich heute würde schlafen können? Die plötzliche Aufregung, meine Angst um Joe. Dann das zerstörte Gesicht von Langthaler. Die Show samt Hirschen, Witzen und peinlichen Texten.
Der Taxifahrer sah aus, als hätte er bereits eine ganze Woche ohne Unterbrechung in seinem Fahrzeug verbracht. Er nickte wortlos, als ich ihm Straße und Hausnummer nannte. Im Auto roch es nach zu oft gereinigten Sitzbezügen und dem Vanilleduft eines so genannten Deobäumchens.
Ich starrte aus dem Fenster. Wien war um diese Zeit wie ausgestorben. Ein paar Taxis, im Schein der Straßenbeleuchtung irreal aussehende Bäume, Fassaden von Geschäften, die wirkten, als hätten sie die letzten fünfzig Jahre nicht mehr geöffnet gehabt.
Ich zahlte, stieg aus und sah mich in der dunklen Gasse um. Das Taxi fuhr ab, der tiefe Ton des Dieselmotors schien die Stille rundum nur zu verstärken. Für einige Sekunden hielt ich die Luft an. In der Einfahrt brannte eine helle Lampe, doch sie ließ die Schatten in den Ecken umso deutlicher hervortreten. Ich griff mir unwillkürlich an die Lippe. Vor rund einem Jahr war ich hier zusammengeschlagen worden. Pfeifend atmete ich aus. Ich durfte mich nicht
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