Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
mit meinem Sonderausweis, er winkte lässig mit einer Zeitung zurück. Heute, am Samstag, war die große Eingangshalle beinahe menschenleer. Inzwischen wusste ich, wie ich zu den Studios kam. Eine der gläsernen Liftkabinen schwebte herab. Ich stieg ein und fuhr in den ersten Stock.
Joe hatte sich zum Mittagessen mit seinen beiden Kindern getroffen. Er war einer der Wochenendväter, wie es sie nicht so selten gibt. Seine Exfrau lebte mit einem Wirtschaftsanwalt zusammen, das würde ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und geregeltem Leben mehr entsprechen als seine Jobs, hatte mir Joe erzählt. Schließlich konnte er als Moderator jederzeit abgemeldet sein. Fehler, andere Trends, schlechte Einschaltquoten oder auch nur ein paar Falten mehr reichten da schon. Von dieser Seite hatte ich das Ganze noch gar nicht betrachtet.
Ich stand nun im großen Übertragungsstudio. Noch waren die Zuschauertribünen leer, lediglich einige Techniker probten die letzten Einstellungen. Alles war hell beleuchtet und unpersönlich, und die pseudorustikalen Holztische mit den rot und weiß karierten Tüchern sahen in diesem Licht ziemlich schäbig aus. Wie konnte ich nur jemanden sympathisch finden, der auf einem hölzernen Hochstuhl mit ausgesägtem Herz sitzen, Frauen mit hochgequetschtem Busen als „süße Mädel“ bezeichnen und zum Schluss beim Lied „Jetzt gemma alle heim“ die Hauptstimme singen würde? Ich fand Joe mehr als nur sympathisch – privat.
Ich sah mich nach meinem Fotografen um und erfuhr, dass er mit einigen Medienleuten in der Kantine war. Es war genau vereinbart worden, wen er wann wo fotografieren durfte, denn die Künstlerinnen und Künstler sollten nicht irritiert werden. Vor allem aber sollten sie nicht beim Gähnen, Schminken oder Nasenbohren ertappt werden. „Künstler!“, hatte mein Fotograf durch die Nase geschnaubt, als die Vorbesprechung mit der Presseabteilung des Senders vorüber gewesen war.
Was ist schon Kunst? Ich konnte mit dieser Zuschreibung leben. Wirklich auf die Nerven ging mir der Regisseur der Sendung, Langthaler. Er war ein Wichtigtuer allererster Güte. In seinen Händen lag die Abwicklung fast aller großen Shows des Senders. An seiner Intelligenz konnte das nicht liegen, an seinem Talent auch nicht. Die Organisation überließ er seinen beiden Assistentinnen. Die waren auch an allem schuld, wenn etwas schief lief. Und passieren konnte bei einer derartigen Megaproduktion nahezu ununterbrochen etwas. Der Leadsänger der „Coolen Kerle aus den Bergen“ zum Beispiel bestand darauf, seinen Whirlpool mitzubringen. Nur so könne er sich vor einem Auftritt entspannen. Und wenn es möglich gewesen sei, seinen Whirlpool zum Konzert auf dem Großglockner mitzunehmen, würde das in einem Wiener Fernsehzentrum wohl auch machbar sein. Der Wunsch wurde erfüllt, es mussten ja nur eine Wasserleitung und ein Abflussrohr entsprechend gelegt werden …
Der Erfolg des Regisseurs basierte wohl in erster Linie auf der Tatsache, dass er sich selbst für so gut hielt. In dieser Beziehung war er überzeugend. Und von diversen einschlägigen Filmen hatte er gelernt, dass Regisseure kommandieren, befehlen, brüllen dürfen. Und dass sie zynisch zu sein hatten. Dazu gehört für mich aber ein gewisses Maß an Intelligenz und Selbstironie. Langthaler war nur eine schlechte Kopie eines zynischen Regisseurs. Seine Stars bezeichnete er am liebsten als „Menschenmaterial“, das Publikum als „Hühner“. Als ich mir die leeren Tribünen, die steil nach oben anstiegen, so ansah, musste ich allerdings zugeben, dass zumindest an Letzterem schon etwas dran war.
Das mitteilsamste der Frohsinn-Mädel hatte mir erzählt, dass so gut wie jeder Solostar weiblichen Geschlechts gut daran tat, ihm zu Willen zu sein – was immer er darunter gerade verstand. „Nur die Solostars?“, hatte ich gefragt, und sie hatte gekichert.
Langthaler war ein dicklicher Typ mit wenigen, dafür um so fetteren blonden Haaren. Ursprünglich war er Vertreter gewesen. Da habe er die Volksseele kennen gelernt, betonte er immer wieder, er sei stolz auf seine berufliche Vergangenheit.
Gestern war Joe sein Opfer gewesen. Joe hatte versucht, einen besonders dummen Moderationstext zu verändern. Langthalers Wutausbruch gipfelte in dem Satz: „Hast du noch immer nicht begriffen, dass du nur ein Papagei zu sein hast? Du sollst sagen, was hier steht. Lesen wirst du ja können, du akademischer Trottel!“ Akademiker schien der Regisseur ebenso
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