Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
Aber die Maus läuft ganz, ganz schnell davon. Warum?“ Ratlosigkeit im Publikum. „Weil wer ein kurzes Schwanzerl hat, ein Handy braucht!“ Lautstarkes Gegröle. Ich hatte den Witz schon ein paar Mal in den Proben gehört, ich fand ihn immer noch nicht lustig. Aber offenbar waren Politiker eher am Puls des Volkes als ich. Und Joe auch. Zumindest sagte er das, was ihm vorgeschrieben wurde, brav auf.
Ein Assistent trat auf Joe zu, der tat – wie geprobt – überrascht und sagte: „Jössas, beinahe hätte ich mich verplaudert. Nur mehr zehn Minuten, dann sind wir live auf Sendung. Und gut drauf. Und ich hoffe, dass ihr mich dann gleich noch einmal so super begrüßt!“ Er winkte und ging ab.
Die nächsten paar Minuten schienen kaum zu vergehen.
Dann Aufregung bei der Kamera in meiner Nähe. Eine Assistentin sagte dem Kameramann etwas ins Ohr. Er antwortete ebenfalls flüsternd. Die Assistentin lief zum nächsten Kamerateam. Inzwischen redeten fast alle Kameraleute in meinem Blickfeld hektisch in die kleinen Mikrophone ihrer Headsets. Der stellvertretende Fernsehdirektor stand in der Bühnentüre. Er wirkte völlig aufgelöst und sah sich verzweifelt um. Joe! Es war etwas mit Joe. Der Tod von Downhill-Sepp war Mord. Joe war das nächste Opfer. Irgendetwas musste passiert sein. Der stellvertretende Fernsehdirektor redete auf den Regieassistenten ein, der nach oben deutete. Dort saß der Chef des Fernsehsenders, gleich neben der Unterhaltungsintendantin. Nur mehr zwei Minuten bis zur Sendung. Ich musste zu Joe. Ich musste ihn sehen. Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr aus.
Diesmal war ich nicht die Erste. Diesmal war alles anders. Und diesen Anblick würde ich nicht so leicht wegstecken können. Er lag am Rücken auf dem Teppichboden seines Büros, die Beine seltsam verdreht. Sein Stuhl war umgefallen. Über seine linke Schulter, quer über das weiße Hemd zog sich eine dicke dunkelrote Blutspur. Das Schlimmste aber war das Gesicht – oder das, was noch davon übrig war: eine Masse aus Fleisch und Blut. Bloß das rechte Auge war völlig unversehrt, weit offen, blicklos. Neben dem Kopf lag ein zerborstener Scheinwerfer. Der Scheinwerfer musste ihm direkt aufs Gesicht gefallen sein. An der Decke baumelte noch die Aufhängung. Das Stromkabel war aus der Wand gerissen. Mir wurde schlecht.
Ich wankte zur nächsten Toilette und übergab mich. Erst Minuten später wurde mir bewusst, dass die Sendung trotzdem begonnen hatte. Jetzt waren gerade die Frohsinn-Mädel mit ihrem Jodler an der Reihe. Ihr Lied plärrte aus allen Lautsprechern und war in nahezu jeder Ecke des Fernsehzentrums zu hören. Ich trank gierig ein paar Schlucke kaltes Wasser und bespritzte mein Gesicht. Meine Handtasche hatte ich anscheinend im Sendesaal liegen lassen. Wie lange war es her, seit Joe den Witz mit der Maus und dem Elefanten gemacht hatte?
Ich atmete tief durch und betrachtete mich im Spiegel. Ich war bleich, eine nasse Haarsträhne klebte an der Wange. Ich dachte an sein Gesicht und begann wieder zu würgen.
Ich musste mich zusammennehmen. Ich musste zurück in sein Zimmer. Ich war Journalistin. Drei Tage noch bis zum nächsten Heft. Die Show ging weiter. Immerhin, auch Joe moderierte weiter. Langthaler hingegen war tot. Und irgendjemand anderer führte Regie.
Als ich zu Langthalers Zimmer zurückkam, war die Polizei bereits eingetroffen und hatte alles abgesperrt. Gemeinsam mit einigen anderen Schaulustigen reckte ich den Hals. Fotografen hielten ihre Kameras hoch und versuchten auf gut Glück irgendein Detail einzufangen, das es wert war abgedruckt zu werden. Der Fotograf meines Magazins stand in der vordersten Reihe. Man würde sehen.
Erst gestern war ich in Langthalers Zimmer gewesen und hatte den monströsen Scheinwerfer direkt über seinem Kopf bestaunt. Schon zuvor hatten mir zwei Sängerinnen erzählt, dass der Scheinwerfer auch funktioniere. Der Regisseur hatte es geliebt, sein Visavis damit einzuschüchtern. „Ausleuchten“ hatte er das genannt. War er einem Unfall zum Opfer gefallen? Die massive Aufhängung wirkte unversehrt.
Hier würde ich nichts mehr Neues sehen, dafür sorgten nicht nur die Sonderermittler der Sicherheitsdirektion, sondern auch die Fotografen vor mir. Ich eilte davon und suchte in meiner Jackentasche nach einem Bonbon, um den üblen Geschmack im Mund zu vertreiben. Meine Handtasche war im Sendesaal. Puder auf die Nase, etwas Lippenstift, ein Spritzer Eau de Toilette. Das würde mir ein besseres
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