Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
hier ist Mira Valensky vom Magazin. Ich wollte nur nachfragen …“
„Frau Valensky, ich habe jetzt keine Zeit. Wir sehen uns sicher morgen.“ Seine Stimme klang nach akuter Selbstmordgefahr. Oder bildete ich mir das bloß ein? Man hatte bei ihm die Nylonschnur gefunden. Er hatte mir nicht erzählt, dass er genau so eine Nylonschnur besaß. Warum sollte er auch? Alle Angler hatten solche Schnüre, auch Bastler, jeder konnte sie haben. Daran dachte man eben nicht. Auch nicht, wenn dauernd über eine Nylonschnur geredet wurde?
Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr aus. Ich fuhr zu Vesna und klopfte an ihr Fenster. Vesna wohnte ebenerdig, in einem Haus in einer Seitengasse mit wenig Licht, aber in einem Bezirk innerhalb des Gürtels. Das war Vesna wichtig. Auf der Straße spielten noch einige Kinder. Sie redeten wienerisch, hatten dunkle Augen und schwarze Haare. Vesnas Zwillinge waren nicht dabei. Sie öffnete das Fenster und hatte sichtlich jemand anderen erwartet. Als sie mich sah, entspannte sich ihr wütendes Gesicht. „Dachte, es ist mein Mann. Er ist heute trinken gegangen. Wir haben gestritten. Komm herein, Mira Valensky!“
Vesnas Küche war blitzsauber. Auf dem Tisch standen eine große Schüssel mit ausgelösten Marillen und eine Packung Zucker. Sie war offensichtlich gerade dabei gewesen, Marmelade einzukochen. „Kannst du dir vorstellen, Mira Valensky? Den ganzen Tag in der Küche und dann bringt er diese Früchte und will Marmelade. Ich bin kein Küchenmensch.“
„Vesna, ich glaube, Joe ist in ziemlichen Schwierigkeiten.“
Zehn Minuten später fuhr sie mit meinem Auto los. Ich saß in ihrer Küche und wartete. Da konnte ich ebenso Marmelade einkochen. Das war gut gegen strapazierte Nerven. Saftige Marillen, gleich viel Zucker. Ich fand ein Stück Zimtrinde. Marillenschnaps wäre gut, aber Vesna mochte keine harten Getränke. Und ihr Mann? Was, wenn ihr Mann heimkam? Ich hatte ihn schon zwei, drei Mal gesehen. Wäre er nicht in Ordnung, würde Vesna nicht mit ihm leben. Konnte man das immer so genau sagen? Frauen lassen sich manchmal mit Männern ein, die ich ihnen nie zugetraut hätte. Masochismus. Verblendung. Einsamkeit. Konventionen. Was weiß ich. Und wie war das bei mir? Ich schnitt die Marillen klein. Was würde ich machen, wenn er betrunken war? Es gab andere Dinge, über die ich mir Sorgen machen konnte.
Vesna sollte bei Joe anklopfen und sich für den Fall, dass er die Polizei im Haus hatte, als seine Putzfrau ausgeben. Ich war noch nie in seiner Wohnung gewesen. Warum eigentlich nicht? Jedenfalls kannte ich seine Adresse. Wenn möglich, sollte sie Joe mitbringen. Er war jedenfalls nicht verhaftet worden. Noch nicht. Wer weiß, was sich während unseres kurzen Telefonats in der Wohnung abgespielt hatte.
Schon war eine halbe Stunde vergangen. Die Marmelade war eingedickt und schlug Blasen. Ich hatte im Küchenschrank hochprozentigen Rum gefunden und einen kräftigen Schuss davon in die blubbernde Masse geleert. Dann füllte ich die Marmelade in die bereitstehenden Gläser. Für mich hätte ich in jedes obenauf noch einmal einen Schuss Rum geleert. Das desinfiziert und schmeckt köstlich. Aber wer weiß, ob das die Zwillinge gut finden würden. Also schraubte ich die Gläser fest zu, wusch ab und ging zum Fenster. Eine Dreiviertelstunde seit Vesnas Abfahrt. Joe war verhaftet worden. Vesna saß in der Sicherheitsdirektion beim Verhör. Ihr Aufenthaltsstatus war nie ganz und auf Dauer geklärt. Vielleicht nahm man sie gleich in Schubhaft. Das ging schnell in Österreich. Rein ins Gefängnis und zurück in die angebliche Heimat.
Ich durfte jetzt nicht zu spinnen beginnen. Vesna lebte mit einem Mann zusammen, der eine fixe Arbeit hatte. In einer Farbenfabrik, wenn ich mich recht erinnerte. Sie hatte Zwillinge. Die Zwillinge waren sogar Klassenbeste. Niemand würde ihr so schnell etwas tun können. Und wenn man Joe verhaftet hatte, hätte er ja gar nicht mehr ans Telefon gehen können. Vielleicht war er einfach nicht daheim. Vielleicht war er zu mir gefahren. Dass ich daran nicht gedacht hatte. Sie hörten seine Telefone ab, aber sie würden ihn nicht verfolgen. Warum eigentlich nicht? Wir mussten mit dem Versteckspielen aufhören. Es war lächerlich. Nein, es war notwendig. Oder war ich bloß feige? Und er?
Draußen schrie eine Frau auf kroatisch. Die Kinder riefen etwas zurück und verschwanden in der Hauseinfahrt. Jetzt war die Gasse menschenleer. Menschenleer. Ich lehnte meinen Kopf
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