Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien: Ein Mira-Valensky-Krimi
dafür?“
„Einen besonderen Grund? Nein, nicht dass ich wüsste. Es waren sein Umgang mit Menschen, seine Schreierei. Aber man soll über Tote nichts Böses sagen.“
„Ist Ihnen irgendetwas Besonderes aufgefallen? Irgendein Zusammenhang, den Sie zwischen den Todesfällen sehen?“
Jetzt sah sie mich misstrauisch an. Sie zupfte ihre Bluse zurecht und erwiderte: „Wir wollten bloß über die arme Gabi reden. Das andere ist Sache der Polizei. Außerdem ist mir nichts aufgefallen. Außer, dass alle Opfer bei der Hitparade mit dabei waren.“
Vielleicht war es einer, der selbst nicht mit dabei sein durfte. Oder einer, der volkstümliche Musik nicht ausstehen konnte. Oder eine aus der glücklichen Familie der Volksmusik, die ausgerastet war und jetzt persönliche Rechnungen beglich. Wie viele waren noch offen?
„Glauben Sie, dass Gabi selbst gesprungen ist? Vielleicht, nachdem sie jemand massiv unter Druck gesetzt hat?“
Die Frau seufzte. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Sie war etwas labil, aber wer ist das mit 21 nicht? Wir waren nicht glücklich, dass sie gehen wollte. Aber ehrlich gestanden habe ich mir gedacht, dass die Phase mit ihrem Freund einmal vorbeigehen wird. Sie waren ja nicht einmal verlobt.“
„Man kann auch so heiraten.“
„Nein, sie wollte eine Verlobung und eine Hochzeit mit allem Drum und Dran. Sie war noch so jung.“
Sie würde nicht mehr älter und klüger werden können.
In der Kantine wurden auf einer Tafel Frankfurter Würstchen mit Saft, Schweinsbraten und Wiener Schnitzel angeboten. Die Würstchen und die Schnitzel waren durchgestrichen. Schweinsbraten war das Letzte, was ich wollte. Ich bekam bereits beim Gedanken daran Magendrücken. Volkstümliche Küche, volkstümliche Musik, volkstümliche Morde.
Warum war das Frohsinn-Mädel auf den Schnürboden gefahren? Ihr Mörder musste oben gewartet haben, der Aufzug war nur für eine Person zugelassen. Hatte sie etwa auch ein Briefchen bekommen? Die Sache mit dem Kühlkeller hätte mir verdächtig vorkommen sollen. Aber „Wir treffen uns am Schnürboden“? Das wäre sogar dem naiven Frohsinn-Mädel seltsam erschienen. Warum dort? An dieser Stelle konnte man von allen gesehen werden. Gut, es war Mittagszeit gewesen, und es hatte eine Techniksitzung gegeben. Trotzdem: Der Mörder – oder die Mörderin – war ein ziemliches Risiko eingegangen. Dass Gabriele Weichselberger eine Nachricht erhalten hatte, war also unwahrscheinlich. Gerade nach meinem dramatischen Einschreiten am Vortag wäre niemand so einfach auf den Schnürboden gefahren.
„Was wollen Sie?“
Ich zuckte zusammen. Ich musste wohl schon einige Minuten vor dem Buffet der Kantine gestanden sein und auf die Tafel über der Kassa gestarrt haben. „Haben Sie ein Käsebrot?“
Die dicke Frau im weiß-fleckigen Mantel deutete wortlos auf eine Kühlvitrine.
Ich schnappte mir ein Käsebrot und ließ mich an einem der vielen leeren Tische nieder. Wirklich anheimelnd. Stühle mit orangefarbenen Plastikauflagen. Braune Resopaltische mit einigen feuchten Ringen, wie sie Gläser nun einmal hinterließen.
Das Käsebrot war eine Zumutung. Okay, ich esse gerne gut, aber ich bin durchaus auch mit einfachen Dingen zufrieden. Ich esse sogar hin und wieder bei McDonalds, schon allein deswegen, weil mir die Attitüden gewisser Gourmets so auf die Nerven gehen. Dort weiß man wenigstens, was man bekommt. Doch dieses Käsebrot musste mindestens von vorgestern sein. Die untere Brotscheibe war matschig, bei der anderen bog sich der Rand bereits trocken nach oben. Der Käse sah nicht nur wie ein in Form gegossenes Kunstprodukt aus, sondern schmeckte auch so. Dazu gab es weder Butter noch ein Blatt Salat, geschweige denn ein kleines Stück Paprika. Ich biss zwei Mal ab und ließ das Brot liegen.
Ich musste von hier weg.
Susi Sommer saß in der gegenüberliegenden Ecke der Kantine und baumelte mit den Füßen. Sie war wirklich erstaunlich klein für vierzehn oder fünfzehn Jahre. Ob es stimmte, was Heinrich erzählt hatte? Dass die Kinderstars Hormone bekamen, die ihr Wachstum hemmen sollten? Da fiel mir ein, dass ich die Kleine nach der Geschichte mit dem Foto von Downhill-Sepp fragen wollte. Der Zeitpunkt war günstig. Neben ihr saß bloß ihre Mutter, und die hatte noch nie den Mund aufgemacht.
„Kann ich dich etwas fragen?“
„Ich gebe keine Interviews.“
„Das ist kein Interview, ich wollte bloß etwas fragen.“
Ihre Mutter mischte sich ein. Leider doch.
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