Ausgelacht
Handwerker!
«Morsche», sagte da auch schon ein bulliger Mann. «Firma Hofmann. Wir ham schon mal angefange. Zum Glück hatter mer en Schlüssel.»
«Äh, ja», sagte Britt konsterniert.
«Heut wird weiter gestemmt», sagte der Mann fröhlich. «Des gibt zwar Krach, aber dann isses auch erledischt.»
«Äh, ja», sagte Britt konsterniert. «Wie lange werden Sie denn insgesamt brauchen?»
Der Mann strich durch seinen schwarzen Vollbart. «Schwer zu sache. Zwei, drei Woche, dann is alles ferdisch.»
Britt hustete. «Aber es ist nicht immer so ein Staub und so ein Lärm?», fragte sie vorsichtig.
Der Mann lachte. «Sischer is Staub un Lärm. Wofür sind denn wir Handwerker, gell?»
Britt drehte sich um und verließ die Wohnung. Sie musste dringend an die frische Luft.
Im Garten bellte Otto. Wahrscheinlich war er von den Handwerkern rausgelassen worden.
Gut, dann musste sie wenigstens nicht mit ihm spazieren gehen. Wenigstens das. Und die anderen Viecher sollten auch warten.
Was fraß eigentlich ein Opossum?
Ihr fiel ein, dass sie bei diesem Antiquariat nach dem alten Buch über schizoide Tiere nachfragen sollte und weil sie nichts anderes zu tun hatte, beschloss sie, jetzt direkt dahin zu gehen. Möglicherweise befanden sich ja dort normale Leute, mit denen man sich ebenfalls normal unterhalten konnte. Tante Dora hatte gesagt, das Antiquariat befände sich in der Fußgängerzone neben einem Supermarkt in einem Hinterhof, und das dürfte ja nicht so schwer zu finden sein.
Während sie die Straße entlanglief, versuchte sie abwechselnd, Nana und Tante Dora zu erreichen, aber bei Nana erklärte ihr dauernd die dämliche Tante vom Band, der Teilnehmer sei vorübergehend nicht erreichbar, und Tante Dora hob einfach nicht ab, hatte aber auch keine Mailbox aktiviert.
Wenn sie bis heute Abend nichts von Nana gehört hatte, würde sie noch mal zur Polizei gehen.
Da war ja die Fußgängerzone.
‹Gott, ist das spießig›, dachte Britt, die Münchens prächtige Einkaufsstraßen vor Augen hatte. Hier schien es ja noch nicht mal einen anständigen Juwelier zu geben. Aber wahrscheinlich trugen hier sowieso alle Ringe von Tchibo und viel zu enge Armbanduhren, in deren Gehäuse über dem Zifferblatt Strasssteinchen in einer klaren Flüssigkeit schwammen.
Es gab Bäckereien, eine Apotheke, einen Fischladen, ein Kaufhaus und eine Drogerie. Und den Supermarkt am unteren Ende.
Das Antiquariat befand sich, wie Tante Dora ihr erklärt hatte, in einem Hinterhof, ein Schild in der Fußgängerzone wies darauf hin.
Eine Minute später hatte Britt das Gefühl, in die 1920 er Jahre zurückkatapultiert worden zu sein. Die Frau, die ihr geöffnet hatte, sagte «Guten Tag» und ging dann zurück in einen Raum, in dem sich schätzungsweise zehn weitere Personen befanden.
Es roch nach alten Büchern, nach Vergangenheit und Geschichte. Und überall, wirklich überall standen und lagen Bücher herum. Die Regale reichten bis an die Decke. Und die war hoch.
Fasziniert ging Britt durch den Flur, an dem kleinen Zimmer der Frau vorbei und kam in einen weiteren Raum, in dem sich nur alte Haushalts- und Kochbücher befanden. Überall standen Sessel mit verblichenen Bezügen herum. An den Wänden hingen Kupferstiche. Ein weiterer Raum beherbergte überdimensionale Kunstbände und Biographien, eine hundertbändige Ausgabe irgendeines alten Lexikons, im Regal daneben Geschichtsbücher, dahinter Kinder- und Jugendbücher. Man hatte wirklich das Gefühl, die Zeit wäre stehengeblieben. Sie holte ein Hanni-und-Nanni-Buch aus dem Regal, eine Erstausgabe aus den siebziger Jahren. Und dann schaute sie sich ein Buch über Chagall an, in das jemand vor Urzeiten Randnotizen gekritzelt hatte. Vielleicht ein Kunststudent, wer wusste das schon? Ob er noch lebte? Das Buch war 1952 herausgekommen.
Langsam ging Britt durch den Flur zurück, vorbei an Romanen von Konsalik, Simmel, Grass und Gedichtbänden von Ludwig Uhland und natürlich Schiller und Goethe. Der Geruch des alten Papiers war wirklich unglaublich faszinierend. Am liebsten hätte sie sich in einen der abgenutzten Sessel gesetzt und stundenlang gelesen, obwohl sie eigentlich gar nicht so gern las. Aber vielleicht brauchte sie einfach ein Stück Normalität.
Dieser und der gestrige Tag waren ja nicht gerade ohne Vorkommnisse gewesen. Die Räume strahlten eine sichere Ruhe aus, und das fand Britt momentan einfach wunderbar. Es war, als würden die Bücher ihr zuflüstern: «Nimm uns in die Hand
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