Ausgelacht
Arbeiter konsterniert.
«Nein. Meine Tante ist hier die Auftraggeberin, und da sie momentan nicht da ist, bin ich das eben. Und glauben Sie mir, normalerweise spreche ich nicht mit niederen Chargen. Haben Sie das verstanden?»
Die anderen Männer grunzten vor sich hin. Der Vorschlaghammermann hob seinen Vorschlaghammer, ließ ihn aber gleich wieder sinken, was Britt ein Stück weit aufatmen ließ.
«Dann sind wir also d’accord», sagte sie und nickte den Männern zu wie Katharina die Große ihrem Gefolge. «Erst wird hier für Schadensbegrenzung gesorgt, dann gibt’s eventuell was zu essen.»
Es belustigte sie, dass die Arbeiter augenscheinlich nicht wussten, was d’accord bedeutete.
Arbeiter eben.
In Bad Nauheim. Was sollte man da schon groß erwarten?
Sie ging an den Männern vorbei, die ihr unaufgefordert Platz machten. Diese verflixten Viecher mussten gefüttert werden. Und bestimmt hatte Otto schon den ganzen Garten vollgeschissen.
Britt wusste schon, warum sie nie wie alle ihre Klassenkameradinnen ein Haustier haben wollte. Die machten Dreck und Arbeit, und irgendwann starben sie auch noch.
Sie erinnerte sich an das Kaninchen von Leonie. Sie waren damals in der dritten Klasse gewesen, und Leonie, die immer Klassenbeste war, hatte sich für ihr Einserzeugnis ein Kaninchen gewünscht. Erst waren die Eltern dagegen, weil Leonies Mutter befürchtete, dass Leonie nach zwei Wochen das Interesse an dem Tier verlieren würde, aber letztendlich hatten die Eltern sich breitschlagen lassen und Moppel Fett wurde von einem Züchter geholt. Moppel Fett hieß deswegen so, weil er eher aussah wie ein Medizinball und nicht wie ein Kaninchen. Moppel Fett war Britts Idee gewesen, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Moppel Fett war so fett, dass er noch nicht mal die Augen richtig aufmachen konnte. Er bewegte sich kaum und wenn er es mal tat, stieß er überall gegen, wegen der Augen eben. Er war lethargisch und wollte im Prinzip nur zwei Dinge: fressen und schlafen. Leonie war damit selbstverständlich überhaupt nicht einverstanden. Sie wollte, dass Moppel Fett sie unterhielt und ihr Spaß bereitete. Sie wollte, dass er Kunststückchen beherrschte, und trainierte ihn wochenlang, weil er es schaffen sollte, durch einen brennenden Reifen zu springen. Aber Moppel Fett dachte gar nicht daran. Er wollte schlafen. Er wollte noch nicht mal um eine Möhre kämpfen, selbst das war ihm zu viel. Ihm war es am liebsten, wenn man ihm sein Futter direkt vors Maul legte, damit er sich bloß nicht einen Zentimeter bewegen musste.
Leonie war sauer und behauptete, der Züchter hätte ihnen absichtlich das blödeste Kaninchen angedreht, das er im Stall hatte. Leonies Mutter fragte, was sie sich denn vorgestellt hätte. Ein Tier war nun mal ein Tier und gerade ein Kaninchen nicht gerade kommunikativ. Da hätte Leonie sich doch lieber einen Papagei wünschen sollen.
Leonie begann Moppel Fett zu hassen und wollte einen Papagei, aber da stellten die Eltern sich stur.
Dann wurde Moppel Fett krank, das Fell fiel ihm aus, und er verweigerte die Nahrungsaufnahme. Und Leonie heulte von morgens bis abends, weil sie dachte, sie sei schuld daran, bestimmt hätte Moppel Fett ihre Abneigung gegen ihn gespürt.
Sie redete von nichts anderem mehr, was ihr Umfeld irgendwann total nervte.
Leonie kümmerte sich nun gar nicht mehr um ihr Kaninchen, das übernahm die Mutter. Moppel Fett wurde mittels einer Spritze ein Antibiotikum eingeflößt und seine offenen Hautstellen mit einer sauteuren Spezialcreme eingerieben. Insgesamt kostete Moppel Fett die Familie während seiner vierwöchigen Krankheit so viel wie ein neues Mofa. Und genützt hatte es trotzdem nichts, denn Moppel Fett schlief eines Abends ein und wachte nicht mehr auf.
Leonie drehte komplett durch und organisierte so etwas wie ein Staatsbegräbnis, auf das die komplette Klasse und ihre gesamte Verwandtschaft kommen musste. Sie hielt sogar eine Rede. Der Pfarrer, der sie getauft hatte, war auch da und musste Moppel Fett segnen. Wahrscheinlich hätte Leonie noch verlangt, dass er selig gesprochen wurde wie einst Hildegard von Bingen, wenn sie damals gewusst hätte, wer das war.
Für Britt stand jedenfalls spätestens nach der Moppel-Fett-Geschichte fest, dass sie niemals ein Haustier wollte, auch keine Fische oder so. Tiere waren ihr einfach suspekt. Und Menschen, die Tiere wie Menschen behandelten oder hofierten, ebenfalls. Das war schon immer so gewesen, und so wie es momentan
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