Ausgeliebt
stand er wieder auf, holte einen Aschenbecher und seine Zigaretten,
setzte sich wieder.
Ich sah ihn an. Er wirkte wie immer.
»Und?«
»Was und? Ich habe dir doch gestern schon alles gesagt.«
»Am Telefon. Bei Ines. Warum nicht am Wochenende?«
»Ich finde so was leichter am Telefon. Und es war doch gut, dass du nicht alleine warst.«
Ich musste schlucken. So was. Leichter.
»Kannst du mir denn erklären, warum?«
»Hab ich doch.«
»Ich verstehe es nicht.«
Ich schluckte wieder, dachte an Ines.
»Hast du jemanden kennen gelernt?«
»Quatsch, wann denn? Das hat nur was mit mir zu tun. Es ist nicht deine Schuld.«
»Ich glaube dir nicht, irgendetwas ist passiert.«
»Dann lass es bleiben, es ist nichts passiert.«
Er stand auf, holte zwei Becher aus dem Schrank und goss Kaffee ein.
»Also, du kannst natürlich hier wohnen bleiben, dann ziehe ich aus.«
»Das schaffe ich doch gar nicht, mit dem Haus und dem Garten und den Katzen. Bei meinem Job. Ich werde wohl nach Hamburg ziehen.«
|17| Ich beobachtete ihn. Vielleicht begriff er jetzt, was wir hier taten.
»Ja, mach das doch. Hamburg ist doch klasse und für dich so praktisch. Ich helfe dir natürlich beim Umzug.«
Ich fühlte mich schlecht.
Ich verstand nichts von dem, was hier passierte, nur dass es passierte.
Wir saßen noch eine Zeit lang in der Küche. Ich kämpfte mit den Tränen und den Fragen, Bernd verweigerte Antworten, ließ dafür
aber Sätze wie »Wir bleiben ja Freunde« und »Wir müssen uns ja nicht gleich scheiden lassen, bei der Steuer« vom Stapel.
Irgendwann hielt ich das alles nicht mehr aus und ging nach oben. Als ich auf dem Bett lag und die Tränen nicht mehr zurückhalten
konnte, hörte ich die Haustür zuschlagen und kurz darauf Bernds Auto starten.
Eine Stunde später hatte ich nicht mal mehr die Kraft, weiterzuheulen. Ich fühlte mich im Stich gelassen, gedemütigt und sehr
allein.
Ich dachte an Ines, konnte ihr das nicht noch mal zumuten. Dann dachte ich an Antje, sie musste es sowieso erfahren. Ich wählte
ihre Nummer. Nach dem zweiten Freizeichen hörte ich ihre Stimme.
»Antje, ich bin es, Bernd will sich trennen.«
Sofort kamen wieder Tränen.
»Was? Ach, du Schande. Schade, dabei hatte ich immer gedacht, du würdest dich trennen.«
»Ich wollte das nicht. Antje, ich werde wohl nach Hamburg ziehen, ich will hier nicht alleine bleiben, aber was ist dann mit
euch?«
»Da mach dir mal keinen Kopf. Ohne die Kinder wäre ich nach meiner Scheidung auch in der Stadt geblieben, das musst du so
machen. Und das ist auch nicht die erste Scheidung, die wir zusammen hinkriegen. Ich helfe dir dabei, das schaffen wir schon.«
|18| Wir redeten noch ein paar Minuten. Nachdem ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich etwas getröstet.
Danach rief ich noch Marleen an. Sie war die Exfrau von Bernds bestem Freund, wir hatten uns durch unsere Männer kennen gelernt,
wohnten im selben Dorf und hatten uns in den letzten Jahren angefreundet. Außerdem war sie erfrischend handfest und praktisch,
ich hatte kein Mitleid zu befürchten.
Nach meinem Kurzbericht fragte sie nach dem Grund, fand meine Antwort unbefriedigend und bot mir ihr Gästezimmer an. Ich lehnte
erst mal ab, versprach aber, mich in den nächsten Tagen zu melden.
Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie im Nebel.
Ein Teil meines Lebens war beruhigend normal. Ich besuchte meine Buchhändler, erfüllte die Termine wie geplant und erwähnte
mit keiner Silbe, in welcher Situation ich gerade war.
An einem der Abende, die ich bei Ines verbrachte, besuchte uns Leonie. Ines hatte sie getroffen und ihr alles erzählt, wir
waren seit einigen Jahren Kolleginnen, sahen uns drei- oder viermal im Jahr privat.
Als sie mit einer Flasche Sekt bei Ines vor der Tür stand, machte sie keinerlei Umwege.
»Das ist gut, ich sehe den immer noch mit dem Staubsauger in der Hand, ihn hat weder dein Job interessiert noch hat er gelesen,
noch war er mal mit in Hamburg. Sei froh, dass du den los bist und zudem noch aus der Provinz rauskommst. Aufs richtige Leben!«
Ihre Meinung teilte ich zwar noch nicht, dafür fand ich es rührend, dass sie mit oder ohne Ines in den folgenden Wochen unzählige
Wohnungen besichtigte, die meisten aussortierte und mir an den Wochenenden drei oder vier Besichtigungstermine verordnete.
Wenn ich keine Wohnungen besichtigte, fuhr ich zu meinen Eltern nach Sylt, lief stundenlang in der Märzkälte am Strand entlang,
heulte ein
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