Ausgeliebt
stellte
sich neben mich, Bernd ging zu Stefan. Zwischen uns lagen ungefähr fünf Meter.
Ich zwang mich, Bernd nicht anzusehen, stellte mich mit dem Rücken zu ihm und sah Rüdiger an. Mir fiel kein Wort ein.
Rüdiger nickte mir zu. »Das wird ganz schnell gehen. Du musst dir keine Gedanken machen. Überlass das alles mir.«
Er zog sich dabei seine Robe an.
Ich nickte ihm dankbar zu. Und fror.
Die Tür wurde aufgerissen, eine junge Frau rief unsere Namen auf. Rüdiger ging als Erster in den Saal, ich folgte ihm. Es
sah aus wie ein richtiger Gerichtssaal, nur kleiner und schäbiger. Mein Anwalt setzte sich auf die rechte Seite, rückte mir
vorher den Stuhl neben sich zurecht.
Ich zitterte, als ich mich setzte.
Minutenlang saßen wir vier schweigend in diesem eigenartigen Raum. Es war unwirklich.
|211| Dann wurde eine andere Tür aufgerissen, der Richter erschien. Rüdiger tippte mir an den Ellenbogen, wir standen auf. Und setzten
uns kurz danach wieder.
Während der Richter begann, unsere Namen zu nennen, von Tatbeständen, Sach- und Rechtslagen, Versorgungsausgleich, Rechtsmitteln
und familiengerichtlichen Genehmigungen zu reden, wanderten meine Gedanken weg von mir.
Ich hörte Rüdiger etwas sagen, sah Bernd an, dann Stefan und den Richter und war dabei irgendwo anders. Rüdiger stieß mich
zwischendurch an, ich musste zweimal ja sagen. Ich tat es, ohne zu wissen, warum.
Der Richter verlas seinen Text in ein Diktaphon. Nach jedem Absatz spielte er das Band ab, um seine Ausführungen zu wiederholen.
Die Geschwindigkeit des Bandes war falsch eingestellt oder defekt, die Stimme klang, als hätte sie Helium geatmet.
Plötzlich empfand ich die Situation als so absurd, dass sich ein Lachkoller anbahnte. Rüdiger bemerkte es, berührte mich leicht.
»Gleich vorbei«, flüsterte er.
Ich nahm mich zusammen, sah im Augenwinkel, dass Bernd mich beobachtete. Ich erwiderte seinen Blick nicht.
Dann mussten wir aufstehen, ich wusste nicht, wie es sich anhören würde.
»Es wird nunmehr nachstehendes Urteil verkündet. Im Namen des Volkes …« Ich schnappte nach Luft und hörte nur noch Satzfetzen. »… vor dem Standesbeamten geschlossen …, Ehe der Parteien wird geschieden …, Wert für das Verfahren …«
Ich war im Namen des Volkes geschieden. Ich sah Rüdiger an, dann auf die Gegenseite.
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Es hatte keine halbe Stunde gedauert, wie ein Kurzfilm.
Der Richter gab den Anwälten die Hand, nickte Bernd und mir kurz zu, verließ den Raum durch die eine Tür, wir gingen durch
die andere.
|212| Im Flur blieben wir unentschlossen stehen. Stefan sprach zuerst. »Wollen wir noch einen Kaffee trinken gehen?«
Ich starrte ihn an, das gab es doch eigentlich nur in amerikanischen Filmen.
Rüdiger war schneller. »Das wäre ganz schön, oder Christine? Hast du noch Zeit? Möchtest du?«
Ich hatte keine Ahnung.
Bernd zog seine Jacke über. »Ja, komm, einen schnellen Kaffee schaffe ich auch noch.«
Wie ein Lemming folgte ich Rüdiger. Wir gingen zwei Straßen weiter, dort gab es ein kleines Bistro, ich war mit Marleen einmal
da gewesen.
Nachdem wir unsere Getränke bekommen hatten, unterhielten sich Stefan und Rüdiger erst über den Richter, dann über das Amtsgericht.
Nach einer Weile sah Stefan mich an.
»Na, und du? Hast du dich in Hamburg schon eingelebt?«
Langsam wich mein betäubtes Gefühl. »Ja, habe ich. Es hat alles wunderbar geklappt.«
Bernd sah auf die Uhr und dann mich an. »Fährst du gleich wieder zurück?«
»Ich habe noch einen Termin auf der Rückfahrt.«
Rüdiger lachte. »Immer fleißig, nicht mal heute machst du blau?«
Ich hatte keine Lust, darüber zu reden, wie mir diese Verhandlung bevorgestanden hatte und dass dieser Termin nur die Garantie
für anschließende Normalität sein würde. Ich nickte bloß.
Rüdiger suchte seine Brieftasche. »Ich muss jetzt aber auch los, Maren und ich sind zu einer Hochzeit eingeladen und ich wollte
noch schnell in die Kanzlei.«
Stefan winkte ab. »Lassen Sie Ihr Geld stecken, ich übernehme das.«
Wir warteten die Rechnung noch ab, dann standen wir auf. Rüdiger und ich gingen ein paar Schritte vor, er beugte sich zu mir.
»Jetzt hast du es hinter dir, gutes Gefühl?«
|213| Ich hörte in mich. »So langsam kommt eine Erleichterung, ja, ganz gut, glaube ich.«
Er zwinkerte mir zu. »Siehst du. Dann will ich mal los, mal sehen, ob die beiden heute Abend ihre Sache
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