Ausgeliebt
habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Wie geht es? Jetzt schicken Sie wohl Ihren Mann einkaufen, das ist auch
richtig so. Tasse Kaffee?«
Ich lächelte angestrengt und schluckte eine ehrliche Antwort runter. Vermutlich wollte sie die auch gar nicht hören. »Ja,
eine Tasse Kaffee bitte und ein halbes Käsebrötchen.«
Zwei weitere Kunden verhinderten ein längeres Gespräch.
Ich balancierte mein Tablett an den Stehtisch am Fenster und rührte mit Blick auf das Amtsgericht meinen Kaffee um. Es war
ein schönes Gebäude, ich hatte nie darauf geachtet, es ging mich auch vorher nie etwas an. Heute schon.
Beim Anblick der Gurkenscheibe auf dem Käsebrötchen wurde mir schlecht. Ich schob sie beiseite, da, wo sie gelegen hatte,
war der Käse heller. Mein Magen zog sich wieder zusammen, es war mit Sicherheit kein Hungergefühl.
Es war eine Familiensache, die gleich verhandelt wurde. Das stand zumindest in dem Brief, der auch kein gewöhnlicher Brief,
sondern eine Ladung war. Ich fühlte mich überhaupt nicht gemeint. Bernd und ich waren plötzlich zwei gegnerische Parteien,
die zum Scheidungstermin geladen waren.
Wir hatten uns verliebt, wir waren zusammengezogen, wir hatten geheiratet, wir hatten uns auseinander entwickelt, wir hatten
uns verletzt und letztlich verlassen. An allem waren Bernd und ich beteiligt, alles hatten wir selbst entschieden. Und plötzlich
war es ein Tatbestand und wir mussten fremden Menschen Entscheidungsgründe darlegen.
Mir wurde schlecht und schwindelig. Ich ließ mein Tablett stehen und verließ fluchtartig die Bäckerei. Die Wahrscheinlichkeit,
dass ich hier noch mal Kaffee trinken würde, ging gegen null, die Verkäuferin konnte sich ruhig über mich wundern.
|209| Draußen atmete ich tief durch. Mein Schwindel ließ nach. Ich sah auf die Uhr. 10:20 Uhr.
Noch vierzig Minuten Ehefrau.
Ein schwarzer BMW mit Hamburger Kennzeichen fuhr schwungvoll auf den Parkplatz.
Ich fühlte mich erleichtert. Rüdiger. Ich hatte schon ein neues Leben, dieses hier war nur noch formal. Es war alles halb
so wild.
Als er ausstieg und auf mich zuging, wurde es doch wieder bedeutender. Ich hatte Rüdiger noch nie im Anzug gesehen, über dem
Arm trug er seine schwarze Anwaltsrobe.
Er streckte mir die Hand entgegen, ich begrüßte ihn, spürte meine zittrigen Beine.Rüdiger musterte mich.
»Na, Christine, jetzt hast du es gleich hinter dir.«
Ich holte tief Luft. »Ich hatte gehofft, ich würde es lässiger sehen.«
Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Eine Scheidung ist eine Scheidung. Aber als Trost, ich habe schon schlimmere Geschichten
geschieden, eure ist ja einfach. Ist die gegnerische Partei schon da?«
Ich zuckte zusammen. »Ich habe Bernd noch nicht gesehen, ach, Rüdiger, das kriegt alles so eine Ernsthaftigkeit, mir ist schlecht.«
Er griff nach meinem Ellenbogen und schob mich in Richtung des Eingangs.
»Es ist ernsthaft, das ist für dich nur gut. Komm, du hast das alles so gut hingekriegt, mach mir nicht auf den letzten Metern
schlapp.«
In diesem Moment hörten wir eine Hupe. Bernds Auto kam neben Rüdigers Wagen zum Stehen.
Die Beifahrertür öffnete sich und Stefan stieg aus, ein Segelkollege von ihm. Ich überlegte kurz, warum er hier war, dann
fiel mir ein, dass Stefan Anwalt war, Bernds Anwalt.
Rüdiger und ich blieben stehen, ich beugte mich zu ihm und sagte: »Die gegnerische Partei.«
|210| Ich fand es albern, wartete darauf, dass jemand sagte: »Das war doch nicht ernst gemeint, das ist doch nur ein Witz.«
Bernd lächelte mich an und wirkte in dieser fremden Szene erschreckend vertraut. Dann fiel ihm anscheinend ein, wo er war.
Sein Gesichtsausdruck wurde gezwungen ernst. Stefans Mine war verlegen. Wir hatten vor einem Jahr noch zusammen gefeiert.
Rüdiger entschärfte die Situation. Mit geübter Professionalität gab er Stefan die Hand, stellte sich als Kollege vor. Er nickte
Bernd bei der Begrüßung knapp zu, dann sah er auf die Uhr und sagte: »Dann wollen wir mal.«
Ich ging neben Bernd die Treppe hoch. Abgesehen von einer verlegenen Begrüßung hatten wir nicht miteinander gesprochen. Wir
folgten unseren Anwälten, ich sah mir selbst dabei zu. Bernd wirkte wie immer, er trug das blaue Hemd, das ich ihm zu seinem
letzten Geburtstag geschenkt hatte. Ich überlegte, ob er das überhaupt noch wusste.
Die Sitzungsräume des Amtsgerichts befanden sich im ersten Stock. Vor dem Sitzungssaal 12 blieben wir stehen. Rüdiger
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