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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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spürte die kalte Wut in sich, mahlend wie Zahnräder. Kalte, unversöhnliche Wut. Unkontrollierbar. Sie hatten einen Fehler gemacht. Sie hatten ihn vom Zuschauer zu einem Feind verwandelt. Ein schlimmer Fehler. Sie hatten die verbotene Tür aufgestoßen, nicht wissend, was da herausplatzen konnte. Er lag da und fühlte sich wie eine tickende Bombe, die von den Kerlen tief ins Herz ihres Territoriums getragen wurde. Er spürte die Aufwallung von Wut in sich, genoss sie, staute sie in sich auf.
     
    Jetzt lag in dem Lieferwagen nur noch eine Matratze. Sie war nicht einmal einen Meter breit. Und Stevie war ein unruhiger Fahrer. Reacher und Holly lagen dicht aneinander gedrückt auf der Matratze. An Reachers linkem Handgelenk hing immer noch die Handschelle und die Kette. Sein rechter Arm lag über Hollys Schultern. Er hielt sie an sich gedrückt. Fester als es eigentlich notwendig war.
    »Wie weit noch?«, fragte sie.
    »Wir werden vor Einbruch der Nacht dort sein«, antwortete er leise. »Die haben Ihre Kette nicht mitgebracht. Also ist keine Übernachtung mehr geplant.«
    Sie blieb eine Weile stumm.
    »Ich weiß nicht, ob ich darüber froh bin oder nicht«, sagte sie. »Ich hasse diesen Lieferwagen, aber ich weiß wirklich nicht, ob ich irgendwo ankommen möchte.«
    Reacher nickte.
    »Es reduziert unsere Chancen«, sagte er. »Eine alte Erfahrung sagt, dass man entkommen muss, solange man unterwegs ist. Nachher wird es viel schwieriger.«
    Die Bewegung des Lieferwagens deutete darauf hin, dass sie sich auf einer Fernstraße befanden. Aber entweder hatte das Terrain sich geändert, oder Stevie kam nicht mit dem Lieferwagen zu Rande, oder beides, denn sie schwankten ständig heftig. Der Mann setzte zu spät zu Biegungen an und riss das Fahrzeug hin und her, als ob er Mühe hätte, die Spur zu halten. Holly wurde gegen Reacher geworfen. Er zog sie näher an sich heran und hielt sie fest. Sie kuschelte sich instinktiv an
ihn. Er merkte, wie sie kurz zögerte, als ob ihr klar geworden wäre, dass sie ohne nachzudenken gehandelt hatte, und dann spürte er, wie sie beschloss, sich nicht wieder von ihm zu lösen.
    »Wie ist Ihnen zumute?«, fragte sie ihn. »Sie haben einen Menschen getötet.«
    Es dauerte eine Weile, bis er antwortete.
    »Er war nicht der Erste«, sagte er. »Und ich habe gerade beschlossen, dass er auch nicht der letzte sein wird.«
    Sie drehte den Kopf herum, um etwas zu sagen, und tat es im gleichen Augenblick wie er. Der Lieferwagen schleuderte heftig nach links. Ihre Lippen waren nicht einmal einen Zentimeter voneinander entfernt. Wieder schwankte der Lieferwagen. Sie küssten sich. Zuerst leicht und tastend. Reacher spürte die neuen weichen Lippen auf den seinen und den fremdartigen neuen Geschmack, den Geruch, das Gefühl. Dann wurde der Kuss härter, fordernder. Jetzt polterte der Lieferwagen durch eine Folge scharfer Kurven, und sie vergaßen das Küssen völlig und hielten einander bloß fest, versuchten, nicht von der Matratze auf den harten Metallboden geworfen zu werden.

20
    Brogan war derjenige, der in Chicago den Durchbruch schaffte. An jenem Morgen war er der Dritte, der an dem Eimer mit weißer Farbe dort draußen auf dem verlassenen Industriegelände vorbeikam, aber der Erste, dem seine Bedeutung bewusst wurde.
    »Der Lieferwagen, den sie gestohlen haben, war weiß«, sagte Brogan. »Mit irgendeiner Firmenschrift an den Seitenwänden. Die haben sie übermalt. So muss es gewesen sein. Der Eimer stand genau hier, mit einem Pinsel, vielleicht zehn Fuß von dem Lexus entfernt. Ist doch eigentlich logisch, dass sie den Lexus unmittelbar neben dem Lieferwagen geparkt haben, oder? Und deshalb stand der Farbkübel dicht neben der Stelle, wo der Lieferwagen gestanden hat.«
    »Was für Farbe?«, wollte McGrath wissen.
    »Ganz gewöhnliche Haushaltsfarbe«, sagte Brogan. »Ein Vierlitereimer. Dicker Pinsel. Das Preisschild hängt noch daran, aus einem Haushaltswarengeschäft. Und in den Farbschmierern am Stiel sind Fingerabdrücke.«
    McGrath nickte und lächelte.
    »Okay«, sagte er. »Dann mal los.«
     
    Brogan nahm die Fahndungsfotos aus dem Computer mit in den Heimwerkerladen, dessen Name auf dem Preisschild am Stiel des Pinsels gestanden hatte. Es war ein überfüllter Laden im Familienbesitz, vielleicht zweihundert Meter von dem verlassenen Industriegelände entfernt. Hinter der Theke stand eine korpulente ältere Frau, der man ansehen konnte, dass ihr nicht so leicht etwas vorzumachen war.

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