Ausgeliefert: Roman (German Edition)
geschlungen. Man hatte den Ring dort vor hundert Jahren angebracht, um damit ein Pferd an einem Seil festhalten zu können. Aber letzte Nacht hatte der Ring dazu gedient, eine Frau festzuhalten, die eine Kette an ihrem Handgelenk getragen hatte. Webster beugte sich vor und richtete sich dann mit der verchromten Handschelle in der Hand auf, die noch an der Kette hing. Brogan kniete nieder und hob ein paar lange schwarze Haare von der Matratze auf. Dann durchsuchte er gemeinsam mit Milosevic nacheinander sämtliche andere Boxen. McGrath sah den beiden zu. Dann ging er nach draußen. Er wandte sich nach Westen und starrte auf die Stelle, wo die Sonne hinter dem Horizont versunken war. So stand er da und starrte in die unendliche Dunkelheit, gerade als könnte sein Blick, wenn er nur lang und hartnäckig genug dorthin starrte, fünfhundert Meilen weiter im Westen Holly erfassen.
23
Niemand konnte Holly sehen, weil sie ganz für sich allein in dem Gefängnisraum eingeschlossen war, den man speziell für sie gebaut hatte. Vier Frauen in stumpfgrünen Drillichkombinationen, die Gesichter mit Tarnfarbe verschmiert, Automatikwaffen über der Schulter und Munitionstaschen am Gürtel, hatten sie aus der Waldlichtung weggebracht. Sie hatten sie von Reacher weggezogen und sie in der Dunkelheit quer über die Lichtung gezerrt, in die Bäume hinein, quer durch eine Schar zischender, spottender und sie beschimpfender Leute. Dann eine schmerzerfüllte Meile über einen steinigen Weg wieder aus dem Wald heraus und hinüber zu dem großen, weißen Gebäude. Sie hatten kein Wort mit ihr geredet. Sie nur in das Haus gedrängt und dort die Treppe ins Obergeschoss hinaufbefördert. Sie hatten die massive neue Tür aufgezogen und sie auf eine Stufe gestoßen. Die Stufe war mehr als einen Fuß hoch, weil der Boden in dem Zimmer höher als der draußen im Flur war. Sie kroch hinauf und ins Zimmer und hörte, wie die Tür hinter ihr zugeknallt wurde und der Schlüssel sich laut im Schloss drehte.
Es gab keine Fenster. Eine Glühbirne an der Decke hinter einem Drahtgitter erfüllte den Raum mit grellem gelben Licht. Alle vier Wände sowie der Boden und die Decke waren mit frischen neuen Fichtenbrettern verkleidet, unbearbeitet und intensiv riechend. Am anderen Ende des Raums stand ein Bett – ein einfaches Eisengestell mit einer dünnen, zusammengedrückten Matratze. Wie ein Militärbett oder eine Gefängnispritsche. Auf dem Bett lagen zwei Drillichhosen und zwei Hemden. Stumpfgrün, so wie die Kleidung, die die vier stummen Frauen getragen hatten. Sie hinkte zum Bett hinüber
und betastete die Kleidungsstücke. Alt und abgetragen, aber sauber. Gebügelt. Die Bügelfalten der Hosen waren rasiermesserscharf.
Sie drehte sich um und inspizierte den Raum gründlich. Er war nicht klein. Vielleicht fünf Meter im Quadrat. Aber sie spürte, dass er kleiner war, als er hätte sein sollen. Die Proportionen waren irgendwie seltsam. Der erhöhte Boden war ihr aufgefallen. Er war mehr als dreißig Zentimeter höher als normal. Vermutlich war das bei den Wänden und der Decke genauso. Sie humpelte zur Wand und klopfte an die Bretterverkleidung. Ein dumpfes Geräusch. Dahinter musste ein Hohlraum sein. Jemand hatte diese einfache Verschalung aus Brettern in einen größeren Raum hineingebaut. Und sie hatten gut gebaut. Die neuen Bretter saßen dicht aneinander und waren gerade. Nur in den winzigen Fugen dazwischen war Feuchtigkeit zu erkennen. Sie starrte die Fugen an und schnüffelte. Dann fröstelte sie. Der ganze Raum roch nach Angst.
Eine Ecke war abgeteilt. Eine schräge Trennwand mit einer Tür. Sie hinkte zu der Tür und zog sie auf. Eine Badenische. Ein Klo, ein Waschbecken. Ein Abfallkübel mit einem neuen Plastikbeutel. Und eine Dusche über einer Badewanne. Billige weiße Keramikobjekte, aber nagelneu. Sorgfältig installiert. Ordentliche Fliesen. Seife und Shampoo auf einem Wandbrett. Sie lehnte sich an den Türstock und starrte die Dusche an. Starrte sie lange Zeit an. Dann schlüpfte sie aus ihrem schmutzigen Armani-Kostüm, knüllte es zusammen und warf es in den Abfalleimer. Sie drehte die Dusche auf, trat in den Wasserstrom und schrubbte sich am ganzen Körper gründlich ab. Fast eine Stunde blieb sie unter der Dusche stehen.
Dann hinkte sie zum Bett zurück und nahm ein Hemd und eine Hose. Sie passten beinahe perfekt. Angezogen legte sie sich aufs Bett, starrte zu den Fichtenbrettern an der Decke hinauf und lauschte der Stille. Zum
Weitere Kostenlose Bücher