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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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mitgebracht habe, um mich zu beschäftigen?«
    »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Weil ich hierher gekommen bin. Hier gibt es Bücher, und ich kann etwas schreiben, und ich habe Origamisachen gemacht. Es tut mir leid, dass ich den Bastelschrank geplündert habe. Schau her!« Er griff hinter die Pflanze und zog einen Papierkranich hervor. Ich schaute mich um und sah, dass alle Töpfe voll waren mit gefalteten Notizen und Gebrauchsanweisungen. Im größten Topf hatte er ein Dorf mit Häusern, Menschen und Bäumen aufgebaut. In anderen Töpfen waren Familien und Tiere, kleine und große, und in vielen Blumenstöcken steckten bunte Papierblüten an den Blättern. »Hier ist mein Flugzeugwrack.« In einem Topf steckte ein zerknittertes Papierflugzeug mit der Nase im Schlamm, umgeben von roten und orangefarbenen Dreiecken. »Das sind die Flammen.« Er setzte den Kranich zwischen die Blätter einer Grünlilie.
    »Wow«, sagte ich. »Du musst ja schon lange hier sein.«
    Er schaute auf seine Uhr: »Vierzehn Stunden.«
    Nicht fluchen. »Du hast hier übernachtet?«
    »Ich sag dir, was ich gemacht habe. Meine Eltern waren damit beschäftigt, die Leute von diesem Bibelstudierdingsbums bei uns zu Hause zu bewirten, da bin ich einfach hierhergegangen. Und die andere Frau hier hat sich nicht mal umgeschaut, als sie ging, obwohl ich mir schon überlegt hatte, mich hinter den Regalen zu verstecken. Dann habe ich ein Klappbett und Decken aus dem Schrank im Nebenzimmer genommen und sie hierhergebracht. Aber ich habe alles wieder zurückgeräumt, als ich aufgestanden bin. Und ich habe deine Pflanzen gegossen.«
    »Ich danke dir.«
    »Damit du das später nicht machen musst und dabei die Origamifiguren nass machst.«
    Er packte sein Bündel wieder zusammen und band es mit den Ärmeln am Stock fest. Ich stand auf und holte den Stuhl mit den Rollen, um mich zu setzen.
    »Okay«, sagte ich. »Deine Eltern sind jetzt schon stundenlang in Angst. Wir müssen sie anrufen.«
    Ian zog ein Buch aus dem Regal, klappte es auf und hielt es sich vors Gesicht. Er murmelte in das Buch hinein: »Ich glaube kaum, dass das eine gute Idee ist.«
    Ich versuchte, das Buch wegzuziehen, aber er hatte Kraft. »Magst du sie anrufen, oder soll ich das tun?« Er antwortete nicht. »Also soll ich das tun?« Ich erwartete einen Wutanfall, wie damals vor Weihnachten, ich dachte, er würde das Buch auf den Boden werfen und schreien, aber es geschah nichts. Ich stand auf und ging zur Theke. »Wie ist die Telefonnummer?« Sein Kopf tauchte vorn am Gang auf, aber tief unten auf dem Boden. Er musste gekrochen sein. Er gab mir die Nummer, laut und langsam, und ich wählte.
    »Sie haben die Personalabteilung der Elektrizitätswerke von Missouri erreicht. Unser Büro ist von Montag bis Freitag von neun bis siebzehn Uhr dreißig geöffnet.«
    »Ian«, sagte ich und legte auf, »wohnst du im Elektrizitätswerk?« Sein Gesicht verschwand wieder. »Ian, wie lautet die richtige Nummer?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, nun direkt hinter mir. Ich sprang auf, und mein Knie knallte gegen die Theke.
    Ich nahm das Telefonbuch, das unter dem Telefon lag, und blätterte zum Buchstaben D. »Okay, dann schau ich jetzt nach.«
    »Wir stehen nicht drin«, sagte er und lächelte. Es stimmte. Keine Drakes in Hannibal. Ich schlug das Telefonbuch zu und sah, wie sich sein Gesicht entspannte. Er spielte mit dem untersten Knopf seines Hemdes, riss ihn praktisch ab, aber er atmete tief und langsam und schaffte es, sich unter Kontrolle zu halten. Er musste das schon wochenlang geplant haben. Hatte er vor, in der Bibliothek zu wohnen? Vierzehn Stunden war länger als das übliche Ausreißen-um-die-Eltern-zu-bestrafen-Szenario.
    »Nun«, sagte ich, »es freut mich, dass du mich besuchen gekommen bist, Ian, aber die Bibliothek macht gleich auf und du kannst nicht in meinen Pflanzen wohnen.« Er kicherte, aber das Kichern wurde zu einem Würgen. »Wir können entweder die Polizei anrufen, oder ich fahre dich nach Hause.«
    Er drehte sich um, stieß einmal kräftig mit dem Fuß gegen meinen Aktenschrank und ging in seinen Gang zurück, lautlos weinend, mit einem knallroten Gesicht. Als er zurückkam, hatte er seinen Mantel an und trug seinen Wandersack und einen großen blauen Rucksack, den ich vorher nicht gesehen hatte und der prall gepackt aussah, vermutlich enthielt er Kleidungsstücke. Ian nickte mir zu und ging die Treppe hinauf nach oben. Ich ließ das Licht an, schloss aber alles ab und traf

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