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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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hatte sich auf dem Stuhl ausgestreckt, trank Bier aus der Flasche und rauchte eine Zigarre. Den Rauch blies er zum Glück nicht in Ians Richtung, er drehte alle paar Sekunden den Kopf und blies ihn Richtung Esszimmer. Es schien Ian nichts auszumachen. Er sah absolut fröhlich aus. Auf dem Tisch befanden sich eine Platte mit dickem kanadischem Schinken, eine Schüssel Rührei mit Zwiebeln und Paprika, zwei ganze Salamis, eine Kanne Kaffee, ein Brotkorb, ein Stück Münsterkäse, verschiedene Marmeladen und Senf, Erdnussbutter und drei noch geschlossene Bierflaschen. Ian lächelte mich an, häufte Rührei auf die Gabel und ließ sie im Mund verschwinden. Seine Haare standen in vier Frettchen-Shampoo-Haarbüscheln ab.
    »Ich liebe russisches Frühstück«, sagte er.
    »Das ist kein russisches Frühstück!«, rief Leo. »So essen Russen in Amerika.«
    Wir aßen besser als je zuvor, seit wir Hannibal verlassen hatten. Leo zwang mich, zwei Gläser Bier zu trinken, danach war mir klar, dass ich jetzt nicht Auto fahren konnte. Und Ian wollte nicht weg. Er ging noch einmal hinunter, um die Frettchen zu besuchen, fragte Marta, ob sie Fotos aus Russland habe (sie hatte welche), und bat Leo, ihm zu erklären, was Kommunismus wirklich war. Das führte zu einem etwa einstündigen Monolog, schloss aber zumindest nicht den Witz meines Vaters über die Katze und den Senf ein. Ich half Marta mit dem Geschirr, Leo rauchte noch eine Zigarre, und Marta machte sich daran, den Tisch für das Mittagessen zu decken. Bis auf Ians Ausflug in den Keller hatten wir kein einziges Mal die Küche verlassen. Plötzlich fragte ich mich, ob die Schuhschachtel noch da war. Ich hatte sie nicht gesehen, als ich herunterkam.
    Marta stellte vor Ian ein Glas Milch hin, und er strahlte sie an. Möglicherweise war das seine Vorstellung vom Paradies. Leo sagte: »Da! Ein Glas für Glass!«
    Ian sagte: »Wie bitte?«
    »Ein Glas für Glass «, wiederholte ich, die beiden Substantive betonend.
    »Das verstehe ich nicht.«
    Ich sagte: »Dein Nachname. Du heißt doch Glass.«
    Marta und Leo warfen sich amüsierte Blicke zu.
    Ich wusste, dass ich mir keine Sorgen machen musste. So war das mit Menschen, die sich gegenseitig halfen, Menschen, die einander nachts illegale Schuhschachteln zuspielten: Sie stellen keine Fragen, wenn du keine stellst. Und wenn irgendein Uniformierter auftauchen und mich suchen würde, würden sie nicht sagen: »Mein Gott, ist alles in Ordnung mit ihr? Ich habe einen Umschlag mit ihrer letzten Adresse!« Sie würden sagen: »Wir nicht gut Englisch reden. Nein, wir nie gehört von junge Dame. Wir – wie Sie sagen? – nie getroffen.«
    Es war zwei Uhr, als wir uns endlich vom Tisch erhoben. Ich erinnerte Ian daran, dass seine Großmutter auf ihn wartete, und bedankte mich bei den Labaznikows für ihre Gastfreundschaft. Als ich das Wohnzimmer betrat, fiel mir auf, dass die Schuhschachtel verschwunden war.
    Natürlich war sie verschwunden. Darin waren die Zigarren gewesen, die Leo zum Frühstück geraucht hatte. Es waren kubanische Zigarren, die mein Vater in Argentinien gekauft hatte, als Dank für einen Gefallen, den Leo ihm entweder schon getan hatte oder noch tun würde. Vielleicht war die Schachtel außerdem mit Geld ausgepolstert, oder mit einigen illegalen Quittungen. Ich hatte keine Energie, mir länger Sorgen zu machen. Wie könnte ich ihm die Zigarren vorwerfen, seine Geldwäsche – ausgerechnet ich, die illegal ein Kind transportierte?
    Als wir die Mäntel angezogen hatten und mit unseren Taschen schon fast an der Tür standen, sagte Marta: »Wir müssen noch ein Foto machen!« Sie rannte nach oben, um den Fotoapparat zu holen, und einen Moment lang überlegte ich, mit Ian durch die Tür zu rennen, bevor sie unseren Aufenthalt verewigen konnte. Wäre Leo nicht da gewesen, hätte ich es vielleicht auch getan. Ich versuchte, Ians Blick zu treffen, aber er zerquetschte systematisch die Blätter der Pflanzen im Wohnzimmer, um zu sehen, ob sie echt waren. Leo sagte: »Lucy, mal sehen, ob du dich erinnerst. Was sind drei Russen?«
    »Eine Revolution.«
    »Sehr gut! Und hier im Haus sind wir drei Russen!«
    Marta kam mit dem Fotoapparat zurück und stellte uns in einer Reihe auf, mich, Ian und Leo, und trat zurück, um die Aufnahme zu machen. Sie sagte »eins, zwei, drei!«, und bei »drei« schlug Ian die Hände vors Gesicht und lugte durch die Finger. Die Kamera klickte, und Marta sagte: »Oh, noch eine, damit wir dich auch sehen

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