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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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können.«
    »Ich habe Hemmungen«, sagte Ian. Von den ungefähr dreißig Fotos vom Bücherfest im Februar, die in der Bibliothek in Hannibal hingen, zeigten ungefähr zwanzig Ian Drake, wie er das Gesicht vor das von jemand anderem schob und die Ergebnisse einer gelungenen Kieferorthopädie vorführte. »Ich habe Angst, dass die Kamera meine Seele stiehlt.«
    »Er ist ganz einfach schüchtern«, mischte ich mich ein, bevor sie fragen konnten, was man heutzutage in den Schulen eigentlich so unterrichte. Ich dachte, das gibt ein seltsames Foto in der Zeitung, wenn man uns je schnappt: »Hull, Drake (hinter den Händen) und ein nicht identifizierter Russe in einem Privathaus in der Nähe von Pittsburgh. Zu beachten sind die verdächtigen Haarbüschel bei der Entführerin und dem Opfer.«
    Marta gab sich damit zufrieden, wir gingen zur Tür, es gab eine Reihe von russisch-italienischen Umarmungen und eine braune Papiertüte mit belegten Broten. »Was ist der Unterschied zwischen einem Glatzkopf und einem Mofa?«, rief Leo vom Hauseingang aus, als wir schon halb am Auto waren.
    »Ein Mofa kann man frisieren!« Er strahlte mich an. Für ihn war das offensichtlich der schönste Moment seines Lebens.
    »Poka!« , riefen die Labaznikows. »Udatschi!«
    Als wir losfuhren, betrachtete ich mich kurz im Rückspiegel. Meine Haare sahen noch schlimmer aus, als ich gedacht hatte, fettige Klumpen, die nach allen Seiten abstanden. »Wir sehen übel aus«, sagte ich.
    »Wir sind die Frettchen-Shampoo-Zwillinge!«, sagte Ian und machte daraus ein Lied.

27
    Sophiechen und der Riese
    Es war ein schreckliches Gefühl, wieder im Auto zu sein. Mit jedem Kilometer, den wir fuhren, fühlten wir uns immer deutlicher wie in einem U-Boot, gefangen, ohne die Möglichkeit, es zu verlassen. Außerhalb unserer Kapsel gab es ein anderes Element, einen Stoff, der es unseren Lungen nicht erlaubte zu atmen. Drinnen waren wir zusammengepfercht, schmutzig und voller Krümel. Unsere Körper nahmen die Konturen der Sitze an.
    Ich wusste, dass ich in den sauren Apfel beißen und Rocky anrufen musste, und zwar dann, wenn er auch drangehen würde. Freitagnachmittags arbeitete er nie, auch wenn wir unter Druck standen, noch nicht einmal in den seltenen Fällen, wenn die Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung verschwunden war, um ein Verbrechen zu begehen. Ian und ich machten bei einem McDonald’s mit Kinderspielplatz halt, wir wollten Milchshakes trinken. Ich setzte mich auf eine Bank, um zu telefonieren, und Ian schaukelte am Klettergerüst. Er konnte sich nicht hochziehen, er schaukelte einfach so lange, bis seine Arme nachgaben und er auf die Holzspäne fiel. Dann kletterte er wieder hinauf und fing von vorn an.
    »Rocky!«, sagte ich, als er dranging.
    »Ja?«
    »Hier ist Lucy.« Sonst musste ich mich bei ihm nie vorstellen. Hatte er mich schon so schnell aus seinem Gedächtnis gestrichen, oder war er wütend, weil ich noch nicht angerufen hatte?
    »Oh. Du klingst heiser. Alles okay mit dir?«
    »Ja, mir geht es gut, ich bin nur ein bisschen erschöpft. Ich bin noch in Chicago.« Ich erzählte ihm wieder von meiner kranken Freundin, nannte sogar ihren Namen, Janna Glass, und ließ es so klingen, als handle es sich um eine geplante Reise. Eine langwierige Krankheit. Ich sagte, ich hätte gestern Knochenmark gespendet, erwähnte aber weder ihren Sohn noch unsere Fahrt Richtung Osten. Langsam bekam ich das Gefühl, eine Liste machen zu müssen, um nicht zu vergessen, was ich zu wem gesagt hatte. »Es hat höllisch weh getan«, sagte ich.
    »Klar.«
    »Ist unten alles in Ordnung?«
    Er war still, das gab mir die Möglichkeit, so zu tun, als wäre ich überrascht und besorgt, aber ich hatte nicht so viel Atem. Ich brachte gerade noch heraus: »Was ist los?«
    »Lucy«, sagte er, »ich muss dich etwas fragen. Also, du kennst doch Ian Drake? Den Jungen, der sich die ganze Zeit unten herumtreibt?«
    »Ja.«
    »Er ist … niemand weiß genau, wo er ist.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er wird vermisst.«
    »Meinst du, dass die Bibliothek es nicht weiß oder seine Eltern ?«
    »Beide. Er ist offiziell vermisst gemeldet. Mit Polizei und allem.«
    »Scheiße. Ist er ausgerissen?«
    »Also, es gibt einen Brief, aber sie sagen nicht, was drinsteht.«
    »Und was musst du mich fragen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Du hast gesagt, dass du mich etwas fragen musst.«
    »Oh, ich wollte es dir nur erzählen. Alles in Ordnung mit dir?«
    »Nein. Irgendwie nicht. Das ist ganz

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