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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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dein Meisterwerk fotografieren kann.
Singe für deine Zahnpasta ein Abschiedslied.
Bürste kräftig genug, um einen beeindruckenden hellblauen Schaum entstehen zu lassen.
Frage die anwesende Erwachsene, ob du wie ein tollwütiger Hund aussiehst.
Stelle dich eineinhalb Meter vom Waschbecken entfernt auf und verkünde, dass du jetzt wie ein Kamel spucken wirst.
Wenn dein Mund sauber ist, grinse ein Zahnpastalächeln und sage: »Meine Zähne sind so blendi! Witz kapiert?«
Benutze Zahnseide.
    An diesem Sonntag fuhren wir nach Burlington. Dort war ich schon einmal gewesen, als ich mit meiner Mutter nach einem College für mich gesucht hatte, und ich erinnerte mich an die Buchläden in der Church Street. Ich erzählte Ian davon und versprach ihm, dass wir Bücher über Heimatkunde kaufen und in einem italienischen Restaurant essen würden. Ich war verkatert, aber das Pochen in meinem Kopf fühlte sich angemessen und notwendig an. So hätte ich mich die ganze Zeit fühlen müssen, von der Minute an, als wir die Bibliothek verließen. Und noch besser wäre es, wenn ich mich übergeben könnte.
    Wir parkten das Auto, und ich ließ Ian die Parkuhr bedienen. »Ich habe das in meinem ganzen Leben noch nie getan, echt nicht!«, sagte er, als wäre das ein grundsätzliches Manko seiner Erziehung. Wir gingen zur Church Street, der Fußgängerzone, wo sogar jetzt, im Spätwinter von New England, Menschen die Kopfsteinpflaster-Arkaden zwischen den Läden füllten und mit ihren bunten Mänteln und Quastenmützen die Gegend zum Leuchten brachten. An einem Stand kauften wir Kaffee und heiße Schokolade und begannen, die Läden abzuklappern. In einem Bastelladen erwarb Ian einen Malblock und bunte Stifte. »Untersteh dich, mich zu zeichnen«, sagte ich. Ich hatte die Vorstellung von einem Staatsanwalt, der vor Gericht das Bild einer Frau mit meinem blassen Gesicht und mit strähnigen Haaren, die sich vom Frettchen-Shampoo noch nicht erholt hatten, als Beweisstück Nummer vier hochhielt.
    »Ich werde ein paar Bilder für meine Großmutter malen«, sagte Ian, »und sie ihr schenken, wenn ich sie treffe. Ich habe vergessen, ein Geschenk für sie zu besorgen.«
    Er sagte, er könne gut atmen, und es hörte sich auch ganz gut an, aber er hatte die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen und sah blass aus. Doch wer weiß, das konnte auch vom Stress kommen.
    Nachdem Ian von der Toilette im Keller des Gerichtshofs zurückkam (eine Ironie, für die er keinen Sinn zu haben schien), gingen wir zu den kleinen Buchläden in der Nähe der großen Unitarierkirche. Wir kauften ein Buch über die Geschichte von Vermont, das in den siebziger Jahren ein beliebtes Lehrbuch für Schüler der siebten Klasse in staatlichen Schulen gewesen sein musste. Nach jedem Kapitel fand sich eine Seite mit Fragen, wie beispielsweise: »Was ist die Aufgabe des stellvertretenden Gouverneurs?«, und »Nenne die drei wichtigsten Siedlungsarten«. Wir fanden auch einen Reiseführer, der Highways und Nebenstraßen des Green Mountain States hieß, und ich kaufte Ian die beiden Bücher von Lois Lowry, die er in Hannibal hatte lesen wollen, bei denen er aber Angst gehabt hatte, sie in seiner Hose versteckt zu Hause einzuschmuggeln. Einmal hatte er mir erzählt, seine Mutter habe gelesen, dass Lois Lowry an den Satan glaube. Ausgerechnet Lois Lowry, diese feine weißhaarige Newbery-Preis-Gewinnerin aus Maine. (»Glaubt deine Mutter nicht an den Satan?« – »Doch, aber sie mag ihn nicht.«)
    Er fing schon an, in Wer zählt die Sterne zu lesen, bevor wir den Laden verließen. Er sagte: »Ich weiß leider schon, wie es ausgeht. Das habe ich nämlich herausgefunden, als ich in der Bibliothek schon mal in das Buch geschaut habe.«
    »Das mache ich auch«, sagte ich. »Es ist eine schlechte Angewohnheit.«
    »Aber ich mache es nie absichtlich .« Er ging, redete und las gleichzeitig. »Ich muss immer das Ende aufschlagen, weil ich wissen möchte, wie viele Seiten das Buch hat, und damit ich weiß, wo die Mitte ist, aber wenn ich die letzten Seiten sehe, saugen meine Augen die Wörter auf.«
    Ich sagte: »Zumindest weißt du dann, dass es ein Happy End gibt.«
    Ich freute mich für Ian, dass die Hälfte der Leute, die wir unterwegs sahen, Typen waren, die man in Hannibal, Missouri, angestarrt hätte. Typen mit Piercing, mit Irokesenfrisuren, ein Mann im Sarong, händchenhaltende Mädchen mit den gleichen grünen Hüten auf dem Kopf. Die Universität von Vermont befand sich mitten im

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