Ausgeliehen
schluckte bewusst ein paarmal, als wollte er die Krümel vom Essen loswerden. »Ich habe gesagt: Hast du Jesus in deinem Herzen erwartet?«
»Nein.« Der Kater war wieder da. Ich wollte ihn nicht ermutigen, aber ich wollte ihn auch nicht verärgern. »Hör zu, ich weiß schon alles darüber. Es lohnt sich nicht für dich, es zu probieren.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das ist okay. Es geht nur darum, dass ich als Hausaufgabe bekommen habe, drei verschiedenen Menschen vom Evangelium zu erzählen.« Es schien ihm wirklich nichts auszumachen, und ich war erleichtert, denn ich hatte mir einen Moment lang Sorgen gemacht, dass der wahre Grund für unsere ausgedehnte Reise ein perverser und komplizierter Plan gewesen sein könnte, dem seine Eltern zugestimmt hatten.
»Also zählt das auch?«, fragte ich.
»Vermutlich. Außerdem habe ich vor dem Essen für deine Seele gebetet.«
»Großartig.«
»Eigentlich hätte ich mit dir beten sollen, aber ich habe gedacht, dass du das nicht möchtest.«
»Stimmt.« Ich deutete auf die Kirchenbänke, die voller Graffiti waren, und auf das bunte Glas hinter der Bar. »Vielleicht bekommst du noch Zusatzpunkte dafür, dass du mich in diese hübsche Kathedrale gebracht hast.« Er rollte mit den Augen. »So«, sagte ich. »Ich habe nun eine Frage an dich. Magst du den Unterricht, den du samstags besuchst?«
»Na ja, dort gibt es Arbeitshefte mit Comics.«
»Stimmt. Aber gibt dir dieser Unterricht das Gefühl, dass es dir besser geht oder schlechter?«
Er nahm die Brille ab und putzte sie mit der Serviette. »Das ist wahrscheinlich nicht die Art Unterricht, an die du denkst«, sagte er. »Wir lernen da nicht wirklich etwas. Es ist eher wie Kunstunterricht.«
»Ich glaube, ich weiß, was das für ein Unterricht ist. Hält den nicht Pastor Bob?«
Er sah überrascht aus, dann glücklich und schließlich absolut gekränkt. »Das ist so etwas für Jungen, die noch nicht richtig ausgewachsen sind. Die vielleicht nicht so groß sind wie alle anderen.«
»Du bist ziemlich groß für dein Alter.«
»Ja, aber ich bin nicht so gut in Sport. Das soll eine Hilfe sein. Auch im Umgang mit Menschen.«
»Hat es geholfen?«
Er nahm den leeren Inhalator aus seiner Hosentasche und sprühte sich den letzten Rest des Medikaments in den Rachen. Er hielt den Atem für zehn Sekunden an, für jede Sekunde, die verging, klappte er einen Finger um, bis seine Hände zu Fäusten geworden waren. Dann blies er die ganze Luft in einem lauten, langsamen Strom hinaus. »Eigentlich hasse ich das.«
Endlich, nach sechs Tagen, zeigte sich der Lichtblick, auf den ich gewartet hatte. Ich sagte: »Weißt du, Pastor Bob ist ziemlich berüchtigt.«
»Heißt das nicht kriminell? Ist er ein Verbrecher?«
»Nein«, sagte ich, obwohl man das nicht wissen konnte. »Es bedeutet nur, dass er berühmt ist, aber auf eine schlechte Art. Es gibt jede Menge Menschen – wie Journalisten, Rechtsanwälte und andere Pastoren –, die der Meinung sind, dass das, was er den Leuten erzählt, sehr, sehr falsch ist.«
Er deutete mit seinem Suppenlöffel auf mich und sagte im Ton eines Nachrichtensprechers: »Das ist eine sehr interessante Beobachtung, meine Dame.«
Ich machte gleich weiter, bevor sich seine Stimmung änderte und er zum Beispiel das Gespräch auf Rechtsanwälte lenken konnte. Ich wollte meine Sätze vage und taktvoll formulieren und etwas über Menschen sagen, die einander lieben. Aber ich hatte genug von unseren unverbindlichen Gesprächen, ich hatte einen Kater und ich kam offensichtlich aus einer Familie mit einer langen Tradition suizidaler Freiheitskämpfer, und wer war ich, dass ich mit der Tradition brechen konnte? Ich sagte: »Im Grunde genommen sagt er zu Schwulen, dass sie in die Hölle kommen. Und er sagt auch, sie hätten die Wahl zwischen Schwulsein oder Nichtschwulsein. Aber fast alle Wissenschaftler dieser Welt stimmen der letzten Behauptung nicht zu, und die erste Behauptung beruht auf zwei kurzen Bibelversen, die sich inmitten aller möglichen anderen Anweisungen befinden, die aber von allen ignoriert werden. Fast an der gleichen Stelle steht auch, dass man kein Schweinefleisch und keine Schalentiere essen darf, dass Frauen sich die Haare bedecken müssen und dass man nicht zweimal Korn auf dasselbe Feld säen soll. Doch das alles ignoriert Pastor Bob und verbringt sein ganzes Leben damit, den Menschen zu sagen, dass sie nicht schwul sein dürfen.«
Ian schüttelte den Kopf. Er sah leicht
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