Ausgeliehen
Freiheitlichen ,Jake. Die Liberalen. « Die Bardame lächelte mich an und ging auf die andere Seite der Bar. Sie hatte diesen Spruch schon früher gehört.
Jake hatte einen dichten Bart und war der einzige dicke Mensch im Raum. Er trug ein modisches Holzfällerhemd, als wäre er Statist in einem Film über Vermont und seine Rolle schreibe ihm vor, ewig im Hintergrund an einem Baum zu stehen und den Sirup zu zapfen.
»Bin nur auf der Durchreise«, sagte ich. Es war wohl besser, nicht mit ganzen Sätzen unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Er schnaubte: »Eine Freiheitliche ist gerade in die Stadt gezogen. Vor ein paar Jahren wollten sie hier die Macht übernehmen. Haben sich dann für New Hampshire entschieden. Gute Wahl. Hier hätte man sie erschossen. Sollen doch alle auf einmal nach New Hampshire ziehen, sich abspalten. Verdammtes New-Hampshire-Volk.«
Ich stimmte nickend zu. Wieder schaute ich zum Fenster, achtete diesmal auf das Spiegelbild. Der Mann mit den schwarzen Haaren saß noch an seinem Tisch, zu weit weg, um unser Gespräch zu belauschen. Ich hätte Jake sagen können, dass der Mann dort, der mit dem schicken Blazer, derjenige war, der freiheitlich war, und wenn er blutrünstig auf ihn zustürzte, könnte ich weglaufen. Aber Jake war zu besoffen, um überhaupt irgendetwas zu unternehmen.
»Jeder will nach Vermont kommen und daraus etwas machen, was es nicht ist. In den Sechzigern hatten wir die Hippies, bauten Scheißsolaranlagen und versuchten Lamas zu züchten. Hast du diese Kommunen gesehen?«
Auf dem Weg hierher waren wir an einem sternförmigen Holzgebäude vorbeigefahren mit Wäscheleinen in allen Richtungen und einigen alten Volvos, die davor parkten. »Ja«, sagte ich, »ich habe eine gesehen.«
»Es kommen Schwule zum Heiraten her, es kommen Collegekinder zum Skifahren her. Alle kommen, denken, sie hätten den beschissenen Platz entdeckt, glauben, sie seien der verdammte Christoph Kolumbus. Stellt eine Fahne in Montpellier auf und macht eine kalifornische Kolonie draus. Verwandelt uns in Disneyland.«
Die Bardame kam zurück. »Jake«, sagte sie, »lass die junge Dame in Ruhe.«
Jake schnaubte wieder und trank sein Bier aus. Schaum blieb an seinem Schnurrbart hängen. Ich vertiefte mich in meinen Notizblock, bevor er wieder loslegen konnte, und begann eine Liste zu machen, die einzige Liste, die mir einfiel. Sie lautete:
Rocky
Loraine
Glenn
Sophie Bennett
Labaznikows
Mutter, Vater
Drakes
Mann
Ich war mir nicht sicher, was diese Liste sollte. Menschen, die mich verraten könnten? Menschen, vor denen ich Angst hatte? Ich starrte sie eine Weile an, dann fügte ich noch Ians Namen hinzu. Eine halbe Stunde später bezahlte der Mann mit den schwarzen Haaren, die Hähnchenbruststreifen blieben unberührt auf seinem Teller liegen. Er steckte das Handy in die Tasche und ging durch die Tür, die zum Hotel führte, nicht zum Parkplatz. Er übernachtete also ebenfalls hier. Bevor die Tür hinter ihm zuging, schaute er mich direkt an und nickte knapp. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon vier Wodka Tonic intus, mehr als das, was ich mir erlauben konnte, aber ich war für die abgestumpften Nerven dankbar. Ich hielt es auf dem Barhocker noch anderthalb Stunden mit Wasser aus, lange genug, dass der Mann, selbst wenn er hinter der Tür mit der Brechstange oder einer Fernsehkamera oder einer Polizeimarke auf mich warten würde, aufgab und ins Bett ging.
Ich ging die Treppe hinauf, noch immer betrunken, schaute um jede Ecke, ob der Mann noch da war, und hatte Angst, dass die morschen Bretter des Treppenhauses unter meinen Füßen durchbrechen könnten. Ian schlief. Er keuchte wieder, und es gelang mir, das Licht auszumachen, ohne ihn zu wecken. Ich rechnete aus, wie lange wir schon unterwegs waren (fast sechs Tage), und begriff plötzlich, dass heute der Geburtstag meines Vaters war. Oder besser, es war sein Geburtstag gewesen, und ich hatte ihn vergessen. In Chicago war es eine Stunde früher als hier, und mein Vater litt an notorischer Schlaflosigkeit, und – was noch wichtiger war – in meinem gedankenlosen, verflüssigten Zustand war ich froh, eine Ausrede zu haben, um ihn anzurufen. Etwas hatte ich auf meiner verzweifelten und chaotischen Liste wichtiger Erledigungen vergessen, nämlich ihm zu erklären, warum Ian beim Besuch der Labaznikows noch bei mir war. Denn das hatte er bestimmt schon erfahren. Und noch dringender wollte ich ihn wegen der Geschichte aushorchen, die Leo
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