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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Wagen zwar nicht sehen, aber der dunkle Blazer, die Jeans, die glatt nach hinten gekämmten Haare, die Pilotenbrille – alles war genau gleich. Er ließ sein Handy durch die Finger gleiten wie einen Rosenkranz. Er kam nicht näher in meine Richtung und ging auch nicht auf Ian zu, obwohl er nahe genug war, um ihn zu schnappen, bevor ich dort sein würde. Ich blieb still stehen, benutzte die Mauer, um mein Gleichgewicht zu halten, und hoffte, die blassen, schrägen Sonnenstrahlen würden den Alkohol in meinem Körper verbrennen. Meine Finger umklammerten fest die Autoschlüssel in meiner Tasche, für den Fall, dass ich eine Waffe brauchen würde. Aber Mr Sonnenbrille sah ziemlich ruhig aus. In Gedanken sang ich das Lied von Meister Proper, mit einem neuen Text.
    Nun, da ich sicher war, nicht paranoid zu sein, versuchte ich herauszufinden, wer das sein könnte. Wenn er von der Polizei wäre, hätte er Ian schon eingefangen. Er könnte aber ein Privatdetektiv sein, von Rocky oder Glenn angeheuert. Oder von Rocky und Glenn. Er könnte ein Agent von Pastor Bob sein, der Ian beobachtete und Bericht erstattete und verhindern sollte, dass eine größere Sache mit unliebsamem Presseinteresse daraus entstand. Er könnte ein Praktikant von Loloblog sein, aber dafür war er weder jung noch hip genug. Seine glatten Haare zeigten schon den Ansatz zu Geheimratsecken. Er hätte mein Onkel Ilja sein können, der von jenseits des Grabes sicherzustellen versuchte, dass ich für die Sünden meines Vaters büßte.
    Der Mann schaute auf seine Uhr, dann ging er in den Laden und begann, die Fensterregale mit Pullis und Strampelanzügen zu begutachten (oder tat wenigstens so). Ich schaute zur Straße und sah, dass Ian grinsend zu mir zurückkam.
    »Rate mal, wie viel!«, sagte er.
    »Hoffentlich genug für ein Abendessen.« Ich nahm an, er hätte ungefähr fünfundzwanzig Dollar gesammelt. Der Zweig-Junge hatte nicht sehr reich ausgesehen.
    »Einhundertsechzig und ein paar zerquetschte!« Er holte das Geld aus seiner Tasche und gab mir alles, einen Haufen Scheine, meist einzelne Dollar. »Es war gut, dass der Mann mit den schmutzigen Haaren mir einen Hunderter und noch ein bisschen was gegeben hat. Ich habe den Leuten erzählt, ich müsste mit dem Zug nach Boston fahren, zu meiner Großmutter. Wenn sie gefragt haben, warum, habe ich gesagt, meine Mutter hätte versucht, sich umzubringen. Ich glaube, ich kann noch mehr bekommen!«
    Endlich drang es durch den Katernebel zu mir durch, dass die Hauptstraße der größten Stadt Vermonts vermutlich der am wenigsten geeignete Ort zum Betteln war. Eigentlich müsste überall Polizei sein. »Komm, lass uns verschwinden«, sagte ich, »solange es noch geht.« Tatsächlich schauten die beiden Kellner, die er angesprochen hatte, zu uns herüber und flüsterten miteinander. Sie halten uns wohl für Betrüger, dachte ich, und dann fiel mir ein, dass wir Betrüger waren . Wir bogen um die Ecke und liefen schnell zum Auto. Die Parkuhr war sowieso fast abgelaufen. Wenn unser Verfolger uns finden wollte, müsste er uns auf der Straße suchen. Sein Auto stand einige Meter von unserem entfernt, aber ihn konnte ich nirgends entdecken.
    Für den Rest des Tages sah ich den Mann mit den schwarzen Haaren nicht mehr, weder auf der Straße – wir waren schon fast fünfzig Kilometer von Burlington entfernt – noch in dem billigen Hotel mit den feuchten Teppichen, von dessen Fenster aus ich den Parkplatz immer wieder inspizierte. Auch nicht in dem billigen Restaurant, in dem wir uns eine Portion Spaghetti teilten und uns mit dem Brot, das nichts kostete, den Bauch vollstopften.
    In jener Nacht benutzte ich den Computer in der Hotellobby, um meine Mails zu lesen, obwohl ich geschworen hatte, Ians Namen nicht mehr zu googeln. Ich hatte auffällig wenige neue Nachrichten, aber gleich oben war eine Mail von Rocky, die er gestern früh losgeschickt hatte. Er schrieb nur: »Ich dachte, das würde dich interessieren. Pass auf dich auf!« Danach kamen Links zu drei Artikeln. Der erste Artikel war der von Loloblog, den ich selbst schon gefunden hatte. Ich sah, dass in der Zwischenzeit zweihundertdreiundsiebzig Menschen diesen Artikel kommentiert hatten, machte mir aber nicht die Mühe, die bösen und uninformierten Hasstiraden von beiden Seiten des politischen Spektrums zu lesen, die, wie vorauszusehen, auf private Attacken auf die Verfasser der anderen Beiträge hinausliefen. Der zweite Artikel war der vom St. Louis

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