Ausgelöscht
verschränkte die Hände über dem Kopf und reckte sich genüsslich wie eine Katze. Ihr Pullover rutschte bis über ihren gepiercten Nabel, ihren makellos flachen Bauch hoch. Sie ließ die Arme wieder sinken und zuckte mit den Achseln. »Ich werde auch so zurechtkommen. Danke.«
»Sind Sie mit dem Wagen hier? Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
»Vorsicht. Sie werden doch nicht anfangen, sich um mich Sorgen zu machen.« Sie drehte sich um und verließ das Büro.
Clevenger sah ihr hinterher, während sie die Praxis und dann das Gebäude verließ. Sie ging zu einem lapislazuliblauen Range Rover, stieg ein und fuhr davon. Und ihm fiel abermals auf, wie schnell sie ihre Traurigkeit und ihre Schuldgefühle in den Griff bekommen hatte. Lag es daran, dass sie, tief in ihrem Herzen, tatsächlich wollte, dass ihr Vater für seinen Fehltritt mit dem Leben bezahlte – dafür, dass er sie betrogen hatte? War ihr Zorn so viel stärker als ihr Gewissen?
Dann kam Clevenger ein anderer, noch beunruhigenderer Gedanke. Was, wenn ihre Geschichte über George Reese nicht stimmte? Was, wenn sie Grace Baxters Abschiedsbrief gefunden und ihn behalten hatte, bis sich ihr oder Kyle Snow die Gelegenheit bot, ihn neben Graces Bett zu legen, nachdem einer oder sie beide zusammen sie dafür hatten bezahlen lassen, dass sie ihnen ihren Vater gestohlen hatte?
»Wenn Blicke töten könnten«, bemerkte Kim Moffet von Clevengers Tür aus.
Er drehte sich zu ihr um.
»Ich weiß ja nicht, was Sie dem Mädel erzählt haben, aber sie will eindeutig nicht mehr meine Freundin sein. Sie hat mich angeschaut, als hätte ich ihr ihren Schatz gestohlen.« Sie grinste und neigte den Kopf zur Seite. »Schatz.«
»Sie ist gefährlich. Denken Sie immer daran.«
Sie tippte sich an die Stirn und zwinkerte ihm zu. »Gute Nacht.«
12
Clevenger rief im Mass General an, wurde zur OP-Abteilung durchgestellt und bekam mitgeteilt, dass Heller noch immer operiere. Er wählte Mike Coadys Handynummer.
»Ja«, meldete sich Coady.
»Frank hier.«
»Wieder zurück?«
»Bin vor zwei Stunden angekommen.«
»Wie war’s?«
Er erzählte Coady, wie ungerührt Coroway gewirkt hatte, selbst als er ihn über Vortek ausfragte; und dass Coroway Lindsey Snows Verdacht bestätigt hatte, dass ihr Vater eine Affäre mit Grace Baxter hatte.
»Dann kann man davon ausgehen, dass die Mutter es auch wusste«, sagte Coady.
»Wahrscheinlich. Aber das Wichtigste kommt erst. Ich hatte gerade eine Unterhaltung mit Lindsey. Sie hat mir erzählt, dass sie Baxters angeblichen Abschiedsbrief gefunden hätte – den, den Sie am Tatort gefunden haben. Sie hat wortwörtlich daraus zitiert. Dieser Brief war nicht an George Reese gerichtet, sondern an John Snow. Lindsey hat den Brief vor rund einer Woche in seinem Aktenkoffer gefunden.«
»Dann hat Grace Baxter den Brief also vor einer Woche geschrieben?«
»Ja, und sie hat ihn Snow entweder gegeben, oder er hat ihn gefunden. Was immer er schließlich gesagt oder getan hat, es muss das Richtige gewesen sein. Denn sie hat ihre Drohung nicht wahr gemacht – nicht, solange er noch lebte.«
»Wenn Lindsey Snow den Abschiedsbrief gefunden hat, wie ist er dann wieder bei der Leiche gelandet?«
»Lindsey hat ihren Bruder damit zu George Reese geschickt. Sie wollte der Affäre offenkundig ein Ende setzen, ein für alle Mal.«
»Das dürfte sie damit wohl erreicht haben«, bemerkte Coady.
»Wenn sie die Wahrheit sagt, müsste Reese den Brief auf den Nachttisch gelegt haben – nachdem er seine Frau ermordet hatte.«
»Müsste.« Coady schwieg einen Moment lang. »Es sei denn, er hatte Angst, jemand könnte denken, dass er es getan hat. Ich meine, Grace Baxter hat diesen Brief geschrieben. Sie war ziemlich mitgenommen, als Sie bei Ihnen war. Er könnte sie tot aufgefunden haben, und dann ist er in Panik verfallen und hat alles ein bisschen ausgeschmückt.«
Sie war ziemlich mitgenommen
… Coady versuchte immer noch, Grace Baxters Tod als Selbstmord hinzustellen. Und Clevenger musste sich fragen, ob er seinerseits ebenso versessen darauf war, ihren Tod als Mord hinzustellen. War Coadys Blick getrübt, oder trübten Schuldgefühle den seinen? »Könnte sein«, sagte er.
»Ich versuche nur, so zu denken, wie sein fünf Millionen Dollar teures Team von Verteidigern es sehen würde«, sagte Coady. »Aber ich werde veranlassen, dass er zu einer Vernehmung bestellt wird.«
»Ich freue mich schon darauf, noch mal mit ihm zu reden.«
»Wir müssen
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