Ausgelöscht
erwiderte Heller. »Er hat sich wie ein richtiger Profi benommen. Fähig. Respektvoll. Alle mochten ihn.«
»Ich werd mich mal über das hier hermachen«, verkündete Billy und hielt das Buch hoch. Er sah Heller an. »Danke.«
»Ich danke dir.«
Clevenger sah zu, wie sie sich die Hand gaben.
»Gut Nacht«, sagte Billy zu Clevenger und trollte sich in Richtung seines Zimmers.
»Nacht, Kumpel«, antwortete er. »Hab dich lieb.« Er hatte sich an die Tatsache gewöhnt, dass Billy ihn selten umarmte oder sagte, dass er ihn liebe; der Junge stammte aus einer Familie, in der es einem nur Schmerz eingebracht hatte, wenn man sich verwundbar zeigte. Aber in Hellers Gegenwart spürte er eine besonders große Distanz zu Billy. »Wie wär’s jetzt mit dem Drink?«, fragte er Heller. Er sehnte sich nach einem Drink.
»Wohin gehen wir?«
»Ins Alpine? Es ist sehr bodenständig, aber es ist nur ein kleines Stück die Straße runter.«
»Ich hab mich nicht gerade fein gemacht«, bemerkte Heller.
Sie gingen zu Fuß zum Alpine, einer Spelunke, in der die Theke knapp die Hälfte des Raums einnahm. Als das Trinken noch Clevengers Lebensinhalt war, wirkte die Größe jener Theke passend, sogar tröstlich. Niemand ging für einen Kaffee ins Alpine, oder wegen der Ausstattung – dunkle Holztäfelung, strapazierfähige Auslegware, abgehängte Decke. Die Leute gingen ins Alpine, weil es bloß einen Steinwurf von den Mietskasernen entfernt war, in denen sie hausten, und weil dort ein Bier einen Dollar, ein Gin-Tonic zwei kostete.
Heller bestellte einen Scotch, pur.
»Und was darf’s für Sie sein, Doc?«, fragte der Barkeeper. Er war Anfang vierzig, knapp einsneunzig groß und bestand nur aus Muskeln.
Clevenger zögerte. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn anzuweisen, zwei Scotch zu bringen – so leicht wie der erste Schritt von einem sehr hohen Gebäude. Er bestellte eine Diät-Cola.
»Wir haben Sie vermisst«, sagte der Barkeeper.
»Ich habe Sie auch vermisst, Jack«, erwiderte Clevenger.
»Wie man hört, läuft es für Sie ganz gut. Sie haben diesen großen Fall. Mit dem Professor, der sich erschossen hat, oder wie auch immer.«
»Stimmt.«
»Also, nur mal so unter uns Pastorentöchtern: War es Selbstmord oder was?«
»Wir arbeiten noch daran.«
Jack zwinkerte ihm zu. »Ach, Sie halten sich bedeckt. Ich nehm’s Ihnen nicht übel.« Er sah Heller an. »Was soll denn der Pyjama?«
»Er ist Chirurg«, erklärte Clevenger. »Kommt gerade aus dem OP.«
»Zwei Ärzte in diesem Laden«, kicherte Jack. Er schenkte die Getränke aus. »Die geh’n auf mich«, verkündete er.
»Danke«, sagte Heller.
»Betrachten Sie’s als Anzahlung, falls ich einen Leistenbruch oder eine Bilddarmentzündung kriege.«
»Er ist Neurochirurg«, warf Clevenger ein.
»Neuro …«, sagte Jack. »Gehirn.« Er musterte Heller eingehend. »Moment … Moment … Moment mal. Sie waren
sein
Chirurg. Von dem toten Professor.«
Hellers Miene verdüsterte sich. »Stimmt.«
»Jet Heller?«
»Ja.«
»Muss hart gewesen sein, erst all das Getöse über die Lobotomie von dem Burschen, und dann wird ihm das Gehirn weggeblasen.«
»Es war ein schwerer Schlag«, bestätigte Heller.
»Wär ’ne nette Kerbe an Ihrem Halfter gewesen. Tut mir Leid, dass es nicht geklappt hat«, sagte Jack.
»Es ging mir nicht um eine Kerbe an meinem Halfter«, erwiderte Heller.
Jack griff unter die Theke und holte eine Flasche Johnnie Walker Red hervor. »Ja, klar doch. Ich wette, Sie hassen Schlagzeilen.«
Man konnte sehen, dass Heller die Zähne zusammenbiss.
Jack schenkte Hellers Drink ein. »Sie reden hier mit Jack Scardillo. Ich stehe seit elf Jahren hinter dieser Theke.« Er schob ihm das Glas hin. »Genug gesagt?«
»Mehr als genug«, erwiderte Heller und starrte ihn an.
Jack hatte genug Zeit hinter der Theke zugebracht, um eins mit Sicherheit zu wissen – wann ein Gast im Begriff stand, über eben jene Theke zu steigen. Er lächelte und offenbarte dabei zwei fehlende Zähne. »Ich zieh Sie doch nur auf.« Er streckte die Hand aus.
Heller schüttelte sie, aber sein Blick blieb eisig. »Kein Problem«, sagte er.
»Setzen wir uns«, forderte Clevenger Heller auf. »Wir hatten beide einen langen Tag.«
Sie setzten sich an einen Tisch neben dem Fenster, unter einer Neon-Budweiser-Reklame.
»Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen«, sagte Clevenger.
»Ich habe noch nicht genug Abstand dazu, John verloren zu haben, um Witze darüber zu machen«, erklärte
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