Ausgeloescht
ließ. Ich bin mit beiden Eltern aufgewachsen, aber auch nur pro forma. Meine Mom war Alkoholikerin und hat mich geprügelt, wenn Dad nicht zu Hause war. Wir hatten es also nicht eilig, alles zu vermasseln, indem wir heirateten. Wir ließen uns Zeit.
Wir wohnten fast ein Jahr zusammen, ehe ich ihr einen Antrag machte, und sie stimmte zu. Ich dachte: »Wieso nicht?« Wir passten wirklich zusammen. Wir teilten die Hausarbeit, wir legten unser Geld zusammen und zahlten unsere Rechnungen, wir hatten den gleichen Geschmack bei Möbeln und Vorhängen - was heißt, dass es mir egal war und ihr nicht. Wir waren glücklich. Und wir waren froh, dass wir nichts überstürzt hatten.
Sogar bei unserer Hochzeit waren wir vorsichtig. Wir hielten sie einfach und preiswert, machten aber trotzdem etwas Besonderes daraus. Wir wurden am Meer getraut, an einem Frühlingstag. Sie war wunderschön, und ich sah auch nicht übel aus. Ihre Mom kam und mein Dad auch. Meine Mutter tat mir den Gefallen und blieb weg. Wir scherzten, dass sich nicht viel geändert hätte, außer dass wir jetzt Ringe trugen. Wir hatten keine Flitterwochen. Wir waren beide ein bisschen abergläubisch und wollten nichts beschreien. Wir heirateten, verbrachten das Wochenende zu Hause, vögelten uns die Seele aus dem Leib und gingen am Montag wieder zur Arbeit.
Eine Szene aus diesem Wochenende will ich euch schildern. Ich weiß, dass viele auf dieser Site voller Wut sind, und ich lese viel über Frauen, die »Miststücke« und »Fotzen« sind und so was. Und das kann ich verstehen, wirklich. Aber da bin ich nicht, im Augenblick. Ich kann diese Wut spüren, tief in mir (vielleicht nicht ganz so tief), aber mir ist immer noch unbehaglich bei dem Gedanken, sie so zu nennen, trotz allem, was sie mir angetan hat.
Es ist noch zu frisch, wisst ihr? Es tut noch zu sehr weh. Jedenfalls, die Szene, von der ich sprach, wird es vielleicht ein wenig erklären.
Es war Sonntag, gegen fünf oder sechs Uhr morgens. Aus irgendeinem Grund wachte ich auf. Warum, weiß ich nicht. Der Fernseher im Schlafzimmer war an, und das ganze Zimmer roch nach Sex und Schweiß. Ich weiß noch, wie ich aus meinem Nebel herauskam und eine Dauerwerbesendung hörte, die im Hintergrund lief. Irgendwas, wie man mit Immobilien reich wird. Ich schlug die Augen auf, drehte den Kopf und sah, dass sie neben mir lag und mich beobachtete.
Ich erinnere mich, wie ich ihr in die Augen schaute und sah, wirklich sah, dass sie mich liebte. Es stand dort, genauso nackt, wie wir es waren. Es verschlug mir den Atem.
»Was ist?«, brachte ich hervor.
Sie streckte die Hand aus und streichelte meine Wange. Ein paar Augenblicke lang sagte sie nichts. »Ich habe an uns gedacht, wie es in fünfzig Jahren mit uns ist«, sagte sie. »Ich habe an dich gedacht mit weißem Haar und Runzeln.«
»Wie schön«, sagte ich im Scherz.
»Nein«, sagte sie, »es ist mein Ernst. Das Leben ist lang und kurz, beides gleichzeitig. Wir haben eine Entscheidung getroffen, von der Hoffnung getrieben, dass wir es besser hinbekommen als unsere Eltern. Wir haben uns aufeinander eingelassen. Ich bin neben dir aufgewacht und habe dich angesehen und wusste, ja, ich habe die richtige Wahl getroffen.
Wir werden es schaffen.« Sie kam zu mir, schmiegte sich an mich und legte mir den Kopf auf die Brust. »Ich bin so glücklich«, sagte sie.
Wir redeten nicht weiter, aber ich erinnere mich, wie gut ich mich in dem Moment fühlte. Sie dämmerte ein, während ich dalag und mir das Herz in der Brust bersten wollte. Ich war fünfundzwanzig, und mein Leben hatte begonnen. Kitschig, ich weiß, aber so habe ich es empfunden. Es war, als könnte ich die Zukunft sehen, versteht ihr? Tausend Augenblicke wie dieser, Jahre und Jahre im gleichen Bett aufwachen und Dinge zueinander sagen, die niemand sonst je hören würde. Ich hatte eine Partnerin, ein zweites Ich, jemanden, der immer an meiner Seite sein würde.
Soweit ich mich zurückerinnern kann, war es das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich nicht allein fühlte. Das hat sie mir geschenkt. Sie nahm es mir später wieder weg, das und eine ganze Menge mehr, aber zuerst hat sie es mir geschenkt.
Die ersten beiden Jahre waren wahrscheinlich die beste Zeit meines Lebens. Wir stritten uns manchmal, aber das war zu erwarten. Wir stritten über Geld und über Hausarbeit, und manchmal stritten wir uns einfach nur deshalb, weil wir uns aneinander rieben, und dann schreit man eben los. Ich weiß noch, wie ich
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