Ausgeloescht
meinem Innern: Je größer die Erniedrigung, desto intensiver das sexuelle Erlebnis. In gewisser Weise ist es nicht anders als bei einem Amphetaminschlucker oder einem Heroinabhängigen. Viele Vergewaltiger und Serienmörder schildern ihre erste Tat als Höhepunkt. Der erste Höhepunkt ist der schönste; die späteren Taten sind nur der Versuch, diesen Höhepunkt zu wiederholen.
Ich bin an den Ermittlungen beteiligt, die von der Behavioral Analysis Unit, kurz BAU, vorgenommen werden. BAU ist die Abteilung für Verhaltensanalyse des FBI, die die Aufgabe hat, Verbrechen aus der Sicht des Verhaltensforschers zu untersuchen, insbesondere das Verhältnis von Täter und Opfer. Gefasste Täter werden aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen und sich einer Vernehmung zu unterziehen, die aufgezeichnet wird. Einige lehnen ab, doch die meisten sind einverstanden. Viele dieser Leute sind bösartige, selbstverliebte Irre - wie könnten sie da widerstehen, sich vor FBI-Leuten zu profilieren?
Einer der Täter, die ich verhört habe, nahm die Schreie seiner Opfer auf. Sonst nichts. Er hatte keine Fotos, keine Videos, keine Trophäen. Seine Befriedigung bezog er allein aus dem auditiven Nacherleben, dem »Hörerlebnis« sozusagen. Er war Anfang fünfzig. Ein kleiner, untersetzter Mann namens Bill Keats. Harmlos aussehend. Unscheinbar. Halbglatze. Brille mit altmodischem Horngestell. Ein Familientyp, wie viele dieser Verrückten. Ich hatte Fotos von ihm gesehen, die vor seiner Gefängniszeit aufgenommen worden waren. Auf einem der Bilder war er mit seiner verhärmten Ehefrau zu sehen. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und lächelte in die Kamera. Sie standen im Vorgarten, und es war ein sonniger Tag. Keats trug ein Chambray-Hemd, Jeans und Tennisschuhe. Über dem Hemd spannten sich ein Paar Hosenträger.
Drei Dinge fielen mir auf. Erstens das Datum: Das Foto war aufgenommen worden, noch während Keats sein vorletztes Opfer gefangen hielt. Er hatte alle seine Opfer entführt (Frauen mittleren Alters mit dunklen Haaren und großen Brüsten) und hielt sie in einer schalldichten Truhe in einem Lagerschuppen auf seinem Grundstück fest, einem gut vier Quadratkilometer großen Stück Land in Apple Valley.
Als Zweites fiel mir sein Lächeln auf. Es war wohlwollend. Nichts deutete darauf hin (außer vielleicht der niedergeschlagene Blick seiner Frau), dass man sich vor Keats in Acht nehmen sollte, zumal er nicht wie der Nachbar aussah, auf den man ein Auge haben musste. Er sah wie einer dieser Burschen aus, deren einziger Charakterfehler darin besteht, dass sie im unpassenden Augenblick einen schlüpfrigen Witz reißen, für den sie sich dann überschwänglich entschuldigen.
Als Drittes fiel mir sein Bauch auf, der nicht zu seiner übrigen Erscheinung passte. Keats' Gesicht war beinahe hager, Arme und Beine dünn. Doch er hatte einen Bauch wie ein Kobold im Märchen.
Bei seinem Anblick drehte sich mir der Magen um, weil ich bereits die Fakten kannte, denn sein letztes Opfer, Mary Booth, hatte die Tortur überlebt. Keats war hauptsächlich aufgrund ihrer Aussage verhaftet worden - und an diese Aussage erinnerte ich mich wieder, als ich das Foto sah. Marys Aussage war aufgezeichnet worden; ich hörte sie mir eine Woche vor meinem Besuch bei Keats an.
Alan hatte Mary Booth befragt. Bei Vernehmungen ist er der Beste von uns, sowohl bei den Opfern als auch bei den Tätern.
»Also, Mrs. Booth«, sagte Alan freundlich. »Wir werden uns Zeit lassen. Kein Grund zur Eile. Wenn Sie eine Pause machen wollen, sagen Sie es bitte. Wir hören dann sofort auf - so lange, wie Sie möchten.«
Man könnte meinen, dass Alans Körpergröße auf Vergewaltigungsopfer einschüchternd wirkt. Doch es gelingt ihm, das genaue Gegenteil zu bewirken. Er macht sich zum Beschützer; damit wird seine Körpergröße beruhigend und tröstlich.
»Ist gut«, antwortete Mary mit schwacher, aber entschlossener Stimme. Mary Booth erwies sich alles in allem als robust. Keats hatte sie schrecklich zugerichtet, seelisch und körperlich, aber nicht zerstört.
»Es ist wichtig, dass wir gründlich vorgehen, Mrs. Booth«, sagte Alan. »Je genauer Ihre Angaben sind, desto besser. Allgemein gehaltene Aussagen sind vor Gericht anfechtbarer, verstehen Sie?«
»Ja.«
»Wenn der Kerl irgendwelche Angewohnheiten hat, zum Beispiel das wiederholte Benutzen bestimmter Ausdrücke, oder wenn er besondere körperliche Merkmale hat, wie etwa Muttermale oder Tätowierungen, hilft
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