Ausgeloescht
mehr benötigt.«
Ich merke, wie Tommy sich neben mir regt. Ihn verstört die Antwort genauso wie mich.
»Wieso, Dali? Wieso haben Sie das getan?«
Mercy, Dali, ich springe zwischen den Namen hin und her. Sie ist beides und doch keines von beidem.
»Wegen des Geldes natürlich, Nummer fünfunddreißig. Mein Vater hatte eine Tochter, aber er zog mich als Sohn auf. Er hat mir drei grundlegende Dinge beigebracht: Freude ist alles, was nach dem Überleben kommt. Überleben hängt vom Geld ab. Es gibt keine Seele, wir sind alle nur Fleisch. Er hat es mir nicht nur gesagt, er hat es mir bewiesen.« Sie schweigt kurz. »Zum Beispiel nahm er das Frauenfleisch von mir und machte mich zu einem Mann.«
Ich runzle die Stirn und blicke in das hübsche Gesicht. »Sie sehen mir ziemlich weiblich aus.«
»Das ist meine Tarnung, Nummer fünfunddreißig. Die Maske, die ich in der Außenwelt trage. Möchten Sie mein wahres Ich sehen?«
»Ja.«
Die Augen verlieren ihren Glanz. Das Gesicht verändert sich leicht, wirkt mit einem Mal brutaler. Die Schultern sinken herab, und eine schwache Aura der Bedrohlichkeit umgibt sie. »Na los«, sagt sie. Sie spricht zu Kirby, sieht dabei aber mich an. Ihre Stimme ist anders, tiefer, dunkler. Sie ist zu der Stimme geworden, die ich außerhalb des Kofferraums gehört habe. »Machen Sie schon, fühlen Sie meine Brüste.«
»Wie bitte?«, fragt Kirby.
»Fühlen Sie meine Brüste.«
Kirby sieht mich mit erhobener Augenbraue an. »Mach nur«, sage ich.
»Ich bevorzuge zwar Männer, aber wenn du darauf bestehst.« Sie greift zu, ohne zu zögern, drückt mit der linken Hand Dalis rechte Brust und runzelt die Stirn. »Was ist das ...?« Sie greift in Dalis T-Shirt. Ich sehe, wie ihre Hand umhertastet. Ein Ausdruck der Abscheu erscheint auf ihrem Gesicht. Als sie die Hand herauszieht, hält sie etwas Brustgroßes aus Gummi zwischen den Fingern. »Silikon«, sagt sie. »Sonst nichts.«
»Sehen Sie?«, sagt Mercy Lane rau. »Nur Fleisch, das geformt werden muss. Dad hat meine Brüste weggeschnitten, als ich groß genug war. Er sagte, sie machen mich schwach, und das Überleben wäre auf dieser Welt zu schwierig für eine Frau.« Sie lächelt. »Er hat mich stark gemacht.«
Ich suche nach Mitleid, sehe aber nur Leo vor meinem geistigen Auge. Mein Wunsch, den Abzug zu drücken, hat sich in Mattigkeit verwandelt. Der Fingerstumpf pocht.
»Zeit zu sterben, Mercy«, sage ich.
Sie zuckt mit den Schultern. »Fleisch zu Fleisch. Sterben müsste ich sowieso irgendwann. Wir alle kehren in die Erde zurück.«
Ich schraube den Schalldämpfer auf und gehe zu ihr, sodass ich der Kreatur im Sessel ins Gesicht sehe, dieser Frau ohne Brüste und mit der Männerstimme und den verblassten, leeren blauen Augen. Ich hebe die Pistole und richte sie auf ihre Stirn.
Eine letzte Frage.
»Warum haben Sie eine so erfolgreiche Vorgehensweise geändert? Die Aufzeichnungen, die uns verraten haben, dass Sie existieren ... Heather ohne Lobotomie gehen zu lassen ... mich freizulassen. Warum haben Sie das alles getan, Mercy? Das ergab doch keinen Sinn.«
Sie neigt den Kopf zur Seite und schaut zu mir hoch. Ich merke ihr keine Furcht an, keine Wut, keine Schicksalsergebenheit. Wie ein Tier lebt Mercy Lane im Augenblick. Sie ist überzeugt, keine Seele zu besitzen. Sie hat an den Tod nichts zu verlieren.
»Ich habe mein Geschäftsmodell vor Jahren ausgearbeitet, nach einer sehr umfassenden Analyse. Ich habe versucht, alles einzukalkulieren, auch meinen Rückzug in den Ruhestand. Ganz egal, wie perfekt man etwas ausführt, wenn man das Gleiche zu oft macht, begeht man am Ende Fehler. Erics Beteiligung gehörte zu meinem Pensionsplan. Er war nicht nur ein ... wie haben Sie es genannt? Ein Fluchttunnel?«
»Ja.«
»Richtig. Eric war viel mehr. Er war der Grundstein meines Ruhestandsplans. Wenn man ein gesetzwidriges Unternehmen betrieben hat und in den Sonnenuntergang verschwinden möchte, lässt man die Leute am besten in dem Glauben, man wäre tot.«
»Sie beantworten meine Frage nicht.«
Sie fährt ungerührt fort, als hätte ich nichts gesagt und als hielte ich nicht die Pistole in der Hand, die ihr Leben beenden wird.
»Ich brauchte jemanden, der Eric finden würde, nachdem er nach mir suchte, um meinen Plan zum Abschluss zu bringen.« Sie sieht mich wieder an, und ich erkenne eine gewisse Anerkennung in ihrem Blick. »Ich habe unter anderem über Sie nachgeforscht. Sie machen Ihre Arbeit sehr gut, Sie sind sehr
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