Ausgeloescht
auseinander, und ein furchtbarer Gestank steigt empor. Ich blicke auf die Frau, die in dem Sack steckt. Ich kann spüren, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. Einen Moment ist mir schwindelig.
Ich setze mich auf den Wannenrand. Ich will Alan rufen, bekomme aber kein Wort heraus. Ich kann nur noch starren.
Die Frau ist Dana Hollister. Ich erkenne sie wieder. Sie ist nackt. Ihr Blick ist leer, und der schlaffe Mund steht offen und bewegt sich hungrig in einem Kaureflex, nur noch auf der Ebene primitiver Instinkte. Sie sabbert. Speichel läuft ihr übers Kinn. Das Plastikrohr, das aus dem Sack ragte, ist weggerutscht.
»Dana?«, flüstere ich.
Keine Antwort. Sie starrt ins Leere, ohne etwas zu sehen. Immer noch läuft ihr Speichel aus dem Mund. Sie wirkt völlig unbeteiligt, willenlos, hirnlos. Die verschiedensten Gefühle überkommen mich: Trauer, Wut, Entsetzen. Ich knie mich neben sie und öffne den Sack noch weiter. Der Gestank ist mir egal. Ich möchte sie anfassen, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist. Ich hoffe nur, sie ist zu solcher Wahrnehmung überhaupt noch imstande. Ich nehme ihre Hand und streiche ihr über die Stirn. Sie reagiert nicht, öffnet und schließt bloß den Mund, wobei sie dieses furchtbare Schmatzgeräusch macht.
Erst jetzt entdecke ich über einem Auge, innerhalb der Augenhöhle, ein Loch. Ein eisiger Schauder läuft mir über den Rücken.
Vermute ich richtig? So etwas habe ich schon einmal gesehen.
In diesem Moment höre ich einen leisen Aufschrei hinter mir und fahre so heftig herum, dass ich beinahe über den Wannenrand gekippt wäre. Ich reiße mich zusammen und krieche zu dem Jungen, bei dem ich noch nicht nach dem Puls gefühlt habe, weil Dana meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Kaum habe ich die Hand nach dem Jungen ausgestreckt, hustet er, und seine Lider flattern.
»Alan!«, schreie ich. »Komm her! Schnell!«
Ich warte, bis ich seine schweren Schritte auf der Treppe höre, ehe ich mir ein paar Tränen gestatte. Trauer, Beklemmung, Angst. Ich nehme den Jungen in die Arme und danke Gott für sein Stöhnen, denn es bedeutet, dass er lebt. Dana Hollister grunzt und sabbert, während der andere Junge mit toten Augen auf den Teppich starrt.
Kapitel 15
Dana und Dylan Hollister sind vom Rettungswagen weggebracht worden. Ich habe dafür gesorgt, dass sie in die Klinik kommen, in der auch Heather liegt. Bei Avery Hollister wurde der Tod festgestellt.
Heißer Zorn hat meine Trauer weggefegt. Ich möchte Douglas Hollister die Arme und Beine abreißen, ihm die Augen auskratzen, die Zunge rausreißen ...
Ich spüre eine große Hand auf der Schulter. »Wir können Hollister jetzt verhören«, sagt Alan. »Ihm wurden seine Rechte vorgelesen, und er verlangt keinen Anwalt. Falls es aus ihm rauszukriegen ist, sollten wir es jetzt tun, solange das Eisen noch glüht.«
Wenn ich die Augen schließe und lausche, kann ich das Martinshorn des Rettungswagens in der Ferne hören. »Willst du ihn vorher wegbringen?«
»Nein. Je mehr Zeit wir ihm zum Nachdenken lassen, desto wahrscheinlicher fragt er nach einem Anwalt. Er ist bereit, sich hier und jetzt verhören zu lassen. Er hat uns sogar eine Videokamera und ein unbespieltes Band gegeben.«
»Warum ist er so kooperativ?«
»Er hat Angst, dass ihm das Gleiche passiert wie Dana. Schließlich hat er ihr das nicht angetan, sondern jemand anders.«
Ich wälze die Bedeutung dieser Information in meinem Kopf. »Lass mich nur eben einen Anruf erledigen, dann können wir anfangen.«
Callie ist still. Sie verarbeitet, was ich ihr über Dana und die Hollister-Jungen berichte.
»Du meine Güte«, sagt sie schließlich leise. »Was können wir für dich tun, Smoky?« Die gewohnte Flapsigkeit ist von ihr abgefallen.
»James soll die Fallakte weiter durchkämmen. Und du startest eine VICAP-Suche, okay? Wir müssen wissen, ob es schon mal ein ähnliches Verbrechen wie das an Dana Hollister gegeben hat.«
»Du meinst, der Kerl hat das schon einmal getan?«
»Ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls ein sehr exotisches Verbrechen. Wenn er es schon mal getan hat, ist es ganz bestimmt in VICAP zu finden, und es wird derselbe Täter sein.«
VICAP wurde 1985 vom FBI eingeführt. Es war ein Geniestreich: Man braucht nur ein Formular auszufüllen und bekommt landesweite polizeiliche Ermittlungsergebnisse zur Verfügung gestellt. Mich verblüfft immer wieder der Kontrast zwischen der Nüchternheit der Formularfragen und der oft
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