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Ausgerechnet den?

Ausgerechnet den?

Titel: Ausgerechnet den? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Elizabeth Phillips
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konnte, von diesem Ort, an dem sie so viel Kummer erlebt hatte.
    Peg Kowalski, seit acht Jahren Berts Haushälterin, hatte genau ein einsames Licht in dem riesigen Wohnzimmer brennen lassen, das sich über die gesamte Rückseite des Hauses erstreckte. Phoebe trat an die Fensterfront, die auf den Garten hinauswies, und versuchte, im Dunkeln den alten Ahornbaum zu erkennen, der in ihrer Kindheit ihr liebstes Versteck, ihre Zuflucht gewesen war.
    Normalerweise vermied sie es, an ihre Kindheit zu denken, aber heute Abend, während sie in die Dunkelheit hinausstarrte, erschien sie ihr mit einem Mal gar nicht mehr so fern. Jäh fühlte sie sich in jene Zeit zurückversetzt, in jenen Tag, als sie in dem alten Ahorn saß und die verhasste Jungenstimme zu ihr hinauf drang…
    »Da bist du ja, Wabbelspeck. Los, komm runter. Ich hob was für dich.«
    Phoebes Magen krampfte sich jäh zusammen, als die laute, grobe Stimme ihres Vetters Reed sie aus ihren Gedanken riss. Sie lugte hinunter, dort wo er stand, unter ihrem Lieblingsbaum, der ihr stets eine Zuflucht war in den seltenen Malen, wenn sie zu Hause war. Morgen sollte sie ins Ferienlager fahren, und bis jetzt war es ihr gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber heute war sie nicht vorsichtig genug gewesen, und er hatte sie erwischt. Anstatt in der Küche zu bleiben und der Köchin zu helfen oder Addie beim Badputzen, hatte sie sich in ihren Baum geflüchtet, um ein wenig allein zu sein.
    »Ich will gar nichts haben«, sagte sie vorsichtig.
    »Ich rate dir, runterzukommen. Wenn nicht, wird’s dir noch Leid tun.«
    Reed machte niemals leere Drohungen, das hatte sie schon vor langer Zeit gelernt, ebenso wie die Tatsache, dass sie ihm praktisch hilflos ausgeliefert war. Ihr Vater wurde immer wütend, wenn sie sich bei ihm darüber beklagte, dass Reed sie ärgerte oder verhaute. Bert fand, sie habe kein Rückgrat und müsse ihre Kämpfe selbst ausfechten; er würde das jedenfalls nicht für sie tun. Aber Reed, der mit zwölf zwei Jahre älter war als sie, war viel, viel stärker und sie konnte sich ein Gerangel mit ihm – in dem sie als Siegerin hervorging! – nicht einmal vorstellen.
    Sie wusste nicht, warum er sie so hasste. Es stimmte zwar, dass sie reich und er arm war, aber er hatte seine Mutter nicht schon mit vier Jahren verloren, so wie sie. Und er wurde auch nicht fortgeschickt, auf ein Internat. Reed und ihre Tante Ruth, die Schwester ihres Vaters, lebten in einer kleinen Wohnung in einem roten Backsteinwohnblock, keine zwei Meilen vom Anwesen ihres Vaters entfernt. Dorthin waren sie gezogen, nachdem Reeds Vater sie sitzen gelassen hatte. Bert bezahlte die Miete und unterstützte Tante Ruth auch sonst mit Geld, obwohl er sie nicht besonders mochte. Aber Reed mochte er dafür umso lieber, weil Reed ein Junge war und gut im Sport, besonders im Football.
    Sie wusste, dass Reed ihr nachklettern würde, wenn sie nicht freiwillig runterkam, und da war es ihr doch lieber, ihm auf festem Boden gegenüberzutreten. Mit einem Gefühl wachsender Angst und Verzweiflung begann sie den mühsamen Abstieg. Sie schämte sich wegen des Geräuschs, das ihre dicken Schenkel machten, wenn sie aneinander rieben, und hoffte, dass er ihr nicht in die Hosenbeine ihrer Shorts guckte. Immer versuchte er, sie dort anzuschauen oder sie anzugrabschen. Oder er sagte hässliche Sachen über ihren Popo, die sie nicht immer verstand.
    Ungeschickt ließ sie sich vom untersten Ast fallen und stand dann keuchend vor ihm, denn der Abstieg war schwierig gewesen.
    Reed war nicht übermäßig groß für einen Zwölfjährigen, dafür aber kräftig, mit kurzen, stämmigen Beinen, breiten Schultern und einem affenartigen Oberkörper.
    Seine Arme und Beine waren gewöhnlich mit Schürfwunden und blauen Flecken übersät, von seinen sportlichen Aktivitäten, Unfällen mit dem Fahrrad und Raufereien. Bert liebte es, sich Reeds Verletzungen anzusehen. Er sagte immer, Reed sei »ein richtiger Junge«
    Sie dagegen war pummelig und scheu, ein Bücherwurm und keine Sportskanone. Bert nannte sie Fettarsch und sagte, all ihre Einser würden ihr nichts nützen, wenn sie nicht lernte, im Leben für sich einzustehen und den Leuten gerade in die Augen zu schauen. Reed war alles andere als eine Leuchte in der Schule, aber das spielte für Bert keine Rolle, weil Reed der Star der Footballmannschaft seiner Highschool war.
    Ihr Vetter hatte ein löchriges orangenes T-Shirt an, dazu eine Jeansshorts und ausgelatschte Turnschuhe.

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