Ausgerechnet den?
hervorzog. Rasch, aber behutsam befreite sie das Äffchen aus Poohs Maul. »Nichts passiert. Pooh hat deinem Kuscheltier nichts getan. Siehst du?«
Mollys Gesicht war scharlachrot angelaufen. »Ich will diesen Hund nie wieder in meinem Zimmer haben! Verstehst du? Und das Dings da gehört nicht mir. Ich hab doch keine Kuscheltiere! Ich weiß nicht, wie der dahin gekommen ist. Er ist blöd. Schmeiß ihn weg!«
Phoebe hatte seit jeher eine Schwäche für die Ausgegrenzten und Ausgestoßenen dieser Welt, und die Art, wie ihre Schwester ihr offenbar heiß geliebtes Kuscheltier verleugnete, berührte sie so tief, wie nichts sonst es vermocht hätte. Nein, sie konnte dieses verängstigte, einsame junge Mädchen nie und nimmer wieder fortschicken.
Wie beiläufig warf sie das Plüschäffchen aufs Bett.
»Ich habe beschlossen, dich nicht mehr nach Crayton zurückzuschicken. Ich werde dich fürs Wintersemester an eine staatliche Schule hier in Chicago schicken.«
»Was!? Das kannst du nicht!«
»Ich bin dein Vormund und kann das sehr wohl.« Sie hob Pooh hoch und lief zur Tür. »Wir werden nächste Woche in die andere Wohnung umziehen. Wenn es dir in der neuen Schule überhaupt nicht gefällt, kannst du ja immer noch zum Sommersemester wieder nach Crayton zurückgehen.«
»Warum tust du mir das an? Warum benimmst du dich so abscheulich?«
Weil sie wusste, dass das Mädchen die Wahrheit nie und nimmer geglaubt hätte, sagte sie nur: »Warum soll ich allein leiden? Ich muss hier bleiben, also bleibst du auch hier.«
Erst als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, wurde ihr so richtig klar, was sie sich gerade aufgehalst hatte.
Hatte sie nicht auch so schon genug Probleme? Probleme, von denen sie nicht wusste, wie sie sie lösen sollte? Und jetzt hatte sie sich noch eins aufgeladen. Wann lernte sie endlich, nicht immer so impulsiv zu handeln?
Um auf andere Gedanken zu kommen, ging sie zur großen Terrassentür auf der Rückseite des Hauses, von der aus es in den Garten ging, und trat hinaus. Es war eine schöne, stille Nacht, und der Duft von Rosen und Pinienharz lag in der Luft. Die Flutlichter oben an den Hauswänden beleuchteten das waldige Dickicht am jenseitigen Rand der gepflegten Rasenfläche. Auch ihren alten Ahornbaum, in dem sie als Kind so oft Zuflucht gesucht hatte, konnte sie erkennen. Wie von selbst lenkten ihre Schritte sie nun dorthin. Als sie den Baum erreicht hatte, sah sie jedoch, dass die untersten Äste zu hoch waren, um sie zu erreichen. Also lehnte sie sich einfach an seinen dicken Stamm und starrte zum Haus.
Obwohl die Nacht so friedlich war, konnte sie ihre sorgenvollen Gedanken nicht abschütteln. Sie hatte keine Ahnung, wie man mit einem Teenager umging. Wie sollte sie es anstellen, an Molly heranzukommen? Sie schob ihre Finger in die Taschen ihrer engen Jeans. Aber ihre Schwester war nicht das einzige Problem, das sie beunruhigte. Sie vermisste Viktor und ihre Freunde. In ihrem Büro im Stars-Gebäude kam sie sich vor wie ein Paradiesvogel unter – hauptsächlich männlichen – Spatzen. Und sie dachte viel zu viel über Dan Calebow nach. Wieso war er nur so stur und wollte nicht einsehen, wie vorteilhaft es war, Ron wieder einzusetzen?
Sie seufzte. Es lag nicht nur an seiner Einstellung Ron gegenüber, dass sie so oft an ihn denken musste. Er machte sie schrecklich nervös, wann immer er in ihre Nähe kam. Irgendwie löste er eine Art Panik in ihr aus. Ihr Herz fing an zu hämmern, ihr Puls erhöhte sich, und sie hatte das unbehagliche Gefühl, als würde ihr Körper nach einem jahrelangen Winterschlaf schlagartig erwachen.
Lächerliche Vorstellung. Sie wusste zu genau, dass sie einen permanenten Schaden hatte, wenn es um Männer ging.
Trotz der Milde der Nacht überlief sie ein Schaudern und sie zog die Hände aus den Taschen und rieb sich die Arme. Mit einem Mal wurde sie von Erinnerungen überflutet. Die Geräusche der Nacht umhüllten sie, und sie musste an ihre erste Zeit in Paris zurückdenken.
Nach ihrer Ankunft hatte sie eine Freundin aus Crayton aufgesucht, die ihr erlaubt hatte, zu ihr in ihr winziges Apartment im dritten Stock zu ziehen. Es lag in Montparnasse, nicht weit von jenem lebendigen Viertel, wo sich der Boulevard du Montparnasse mit dem Boulevard Raspail kreuzt. In den ersten Wochen war sie eigentlich nur im Bett gelegen, hatte an die Decke gestarrt und sich langsam aber sicher eingeredet, dass sie irgendwie selbst an ihrer Vergewaltigung schuld war. Keiner hatte
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