Ausgerechnet den?
und Molly sah sich gezwungen, zur verhassten Schwester zurückzukehren, nur wenige Tage, nachdem diese selber wieder in Chicago eingetroffen war. Und jetzt hockte sie wieder in diesem riesigen unheimlichen alten Haus, in dem sie sich nie zu Hause gefühlt hatte.
Sie wünschte, Phoebe würde sie endlich in Ruhe lassen.
Dauernd machte sie irgendwelche blöden Vorschläge: Leihen wir uns doch ein Video aus; wie war’s mit Kartenspielen? Aber Molly ließ sich von ihr nicht einwickeln.
Sie wusste, dass sie das alles nur aus Pflichtgefühl tat. Ja, sie hasste Phoebe, nicht nur wegen der Art, wie sie sich kleidete, sondern vor allem deshalb, weil ihr Vater Phoebe geliebt hatte. Sie selbst, Molly, hatte der Vater nicht geliebt, das wusste sie ganz genau. Er hatte ihr mehr als einmal gesagt, dass ihm bei ihrem Anblick »das verdammte Gruseln kam«.
»Deine Schwester hat wenigstens genug Mumm, um es mit mir aufzunehmen! Aber du siehst aus, als wolltest du jedes Mal in Ohnmacht fallen, wenn ich dich bloß anrede.« Ewig dasselbe. Jedes Mal, wenn sie zu Hause war. Sie sprach zu leise. Sie sah aus wie eine graue Maus.
Nichts passte ihm an ihr, und sie wusste, dass er sie insgeheim mit seiner schönen, selbstbewussten älteren Schwester verglich. Über die Jahre hatte sich ihr Hass auf Phoebe wie ein harter Panzer um ihr Herz gelegt.
Von fern hörte sie die große Standuhr neun Uhr schlagen.
Das hohle Geräusch ließ ihr das Haus noch leerer erscheinen, sodass sie sich noch kleiner und einsamer vorkam. Sie stand auf und trat ans Bett, bückte sich und zog etwas hervor, das sie darunter versteckt hatte. Auf den Hacken sitzend drückte sie einen abgenutzten alten Plüschaffen mit nur noch einem Knopfauge an ihre Brust.
Die Wange an eine kahle Stelle zwischen seine Ohren schmiegend, flüsterte sie: »Ich hab Angst, Mr. Brown.
Was soll bloß aus uns werden?«
»Molly?«
Als Molly die Stimme ihrer Schwester hörte, stopfte sie das Affchen rasch wieder unters Bett, schnappte sich
Die Brüder Karamasov
und schob Daphne du Mauriers
Rebecca
eilig unter ihr Kopfkissen. Dann setzte sie sich wieder in ihren Schaukelstuhl.
»Molly, bist du da?«
Sie blätterte eine Seite um.
Die Tür ging auf, und Phoebe kam herein. »Hast du mich denn nicht gehört?«
Heiße Eifersucht durchzuckte Molly, als sie die modischen, rosefarbenen Jeans ihrer Schwester sah und den dazu passenden, eng sitzenden rosefarbenen Häkelpulli mit dem tiefen V-Ausschnitt und dem Mäusezähnchenrand, der Phoebes schönen Busen verführerisch einrahmte.
Molly hätte sich am liebsten
Die Brüder Karamasov
vor ihren eigenen erbärmlich kleinen Busen gehalten. Das war so ungerecht. Phoebe war alt, sie brauchte nicht mehr hübsch zu sein. Sie brauchte nicht dieses hellblonde Engelshaar und die schräg stehenden Augen. Wieso konnte nicht sie, Molly, die Hübschere sein? Wieso war sie eine reizlose Bohnenstange mit öden braunen Spaghettihaaren?
»Ich war beim Lesen.«
»Ach so.«
»Ich bin im Moment nicht zum Reden aufgelegt, Phoebe.«
»Wird nicht lang dauern. Die Schule fängt bald an, und wir müssen ein paar Dinge besprechen.«
Phoebes Pudel kam ins Zimmer gehüpft und rannte prompt zu Molly, die zurückzuckte und ihrer Schwester einen bitterbösen Blick zuwarf. »Wo kommt dieser Hund her?«
»Da ich voraussichtlich längere Zeit hier bleiben muss, habe ich Viktor gebeten, sie in ein Flugzeug zu setzen.«
Molly zog hastig ihre Füße hoch, als die Pudeldame begann, ihre abgewetzten gelben Pantoffel zu attackieren.
»Ich wäre dir dankbar, wenn du das Vieh nicht in mein Zimmer lassen würdest. Ich kriege leicht eine Allergie.«
Phoebe setzte sich auf den Bettrand, beugte sich vor und schnippte mit den Fingern, um Pooh zu sich zu locken.
»Pudel haaren nicht. Sie sind gut für Leute, die leicht allergisch reagieren.«
»Ich will aber keine Tiere in meinem Zimmer.«
»Bist du immer so eklig oder nur bei mir?«
Molly presste dickköpfig die Lippen zusammen. »Ich bin müde und will schlafen gehen.«
»Es ist doch erst neun.«
»Ich bin noch nicht ganz gesund.«
Phoebe beobachtete ihre Schwester, die nun wieder die Nase in ihr Buch steckte und sie demonstrativ ignorierte. Erneut empfand sie eine Mischung aus Frustration und Mitgefühl, wie üblich, wenn sie versuchte, mit dem jungen Mädchen zu reden. Sie war kaum eine Woche wieder in Chicago gewesen, als Molly vorzeitig aus dem Ferienlager zurückgeschickt wurde, um ihre Erkältung auszukurieren. In
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