Ausgerechnet den?
ihre Aufmerksamkeit und ihre Zuneigung. Sie wiederum lernte von ihnen sehr viel über Kunst und Musik, über Geschichte und Politik. Von diesen Männern lernte sie mehr, als ihre Internatskolleginnen auf ihrer alten Schule je gelernt hatten.
Aber vergessen konnte sie trotzdem nicht. Dafür war ihr Trauma viel zu schwer, saß viel zu tief, als dass es sich so leicht hätte verarbeiten lassen. Und daher hörte sie nicht auf, heterosexuelle Männer mit subtilen kleinen Grausamkeiten zu bestrafen: ein verführerisches Lächeln, provozierende Kleidung, ungehemmtes Flirten. Sie lernte, dass sie sie alle beherrschen konnte, indem sie mit ihrem Körper Versprechen machte, die sie nie zu halten gedachte.
So sorry,
Sir, Monsieur, Herr, Senor,
berühren verboten.
Und so ließ sie sie alle stehen, stöckelte davon, mit schwingenden Hüften, wie die jungen Französinnen, die den Boulevard du Montparnasse bevölkerten.
Hot Tschako, Hot Tschako. Hot hot Tschaka, Tschaka
Sie war bereits sechsundzwanzig, als sie wieder einem jungen Mann erlaubte, sie anzufassen. Es handelte sich um den jungen Arzt, der Arturo während seiner langen Krankheit betreute. Er war freundlich und sah gut aus, und seine Arzthände waren sanft und unaufdringlich. Sie genoss seine Liebkosungen, doch sobald er sich weiter vorwagte, erstarrte sie zu einem Eiszapfen. Er blieb geduldig, aber jedes Mal, wenn seine Hände sich unter ihre Kleidung stahlen, wurde sie von Erinnerungen an jene pechschwarze Nacht in dem Wellblechschuppen heimgesucht oder sie musste an jene jungen Männer denken, deren schwitzenden Leibern sie Zugang zu ihrem Körper erlaubt hatte. Der Arzt war viel zu sehr Kavalier, um ihr zu sagen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, und verschwand wieder aus ihrem Leben. Danach zwang sie sich, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie unheilbar geschädigt war, was körperliche Intimität betraf, doch wollte sie deswegen nicht verbittern. Nach der schmerzvollen Erfahrung von Arturos Tod fand sie andere Ventile für ihre zarteren Gefühle.
In Manhattan scharte sie bald einen Freundeskreis sanfter, homosexueller Männer um sich, die sie in ihren Armen hielt, wenn sie starben. Diesen Männern schenkte sie nun all die Liebe und Zuneigung, die sie im Überfluss besaß.
Diese Männer nahmen die Stelle von Liebhabern ein, die sie ja doch nur daran erinnert hätten, wie unzureichend sie als Frau war.
»Hallo, Cousinchen.«
Mit einem erstickten Laut fuhr sie herum und sah Reed Chandler keine zwei Meter von ihr entfernt im Scheinwerferlicht auf dem Rasen stehen.
»Na, versteckst dich noch immer im Gebüsch, Wabbelspeck?«
»Was hast du hier zu suchen?«
»Wollte bloß mal vorbeischauen und nach dem Rechten sehen.«
Sie war kein wehrloses Kind mehr und stemmte sich gegen die aufkeimende Panik, die er nach wie vor in ihr zu wecken vermochte. Während der Beerdigung war sie viel zu betäubt gewesen, um zu bemerken, wie er sich in den letzten Jahren verändert hatte. Nun jedoch sah sie, dass er, obwohl äußerlich ein wenig gereifter, im Grunde noch genauso aussah wie in seinen Collegetagen. Sie konnte sich vorstellen, dass die Frauen sich wahrscheinlich noch immer zu seinem finsteren, gangsterartigen Äußeren hingezogen fühlten: dicke, blauschwarze Haare, olivbrauner Teint und ein kräftiger, muskulöser, untersetzter Körper.
Aber die dicken Lippen, die seine vielen Freundinnen so sinnlich fanden, erschienen ihr nur gierig. Dieser ewig hungrige Mund erinnerte sie nur daran, wie viel Reed ständig vom Leben verlangt hatte und wie viel davon Dinge waren, die ihr zustanden.
Ihr fiel auf, dass er sich nun mehr wie ein Bankier als ein Gangster kleidete. Sein blauweiß gestreiftes Oxford-Hemd und die marineblaue Anzughose sahen nicht aus, als wären sie von der Stange, und als er sich eine Zigarette anzündete, sah sie eine teure goldene Uhr an seinem haarigen Handgelenk aufblitzen. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater ihr erzählt hatte, Reed arbeite jetzt bei einer Immobilienfirma. Zuerst war sie überrascht gewesen, dass er sich nicht einen Posten im Mitarbeiterstab der
Stars
gesucht hatte, doch dann erkannte sie, dass Reed viel zu gerissen war, um Bert eine derartige Kontrolle über sein Leben einzuräumen.
»Wie hast du mich gefunden?«
»Ich hab dich doch stets gefunden, Wabbelspeck.
Selbst im Dunkeln. Deine Haare sind kaum zu übersehen.«
»Ich wünschte, du würdest aufhören, mich so zu nennen.«
Er lächelte. »Ich fand’s eigentlich immer
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