Ausgerechnet den?
nicht willst. Ich würde mich ehrlich freuen, wenn du mich nach New York begleiten würdest.
Ich fliege morgen wieder zurück, und du könntest deine Ferien bei mir verbringen. Ich wohne zurzeit im Apartment eines Freundes, der sich in Europa aufhält. Es hat eine herrliche Lage, mitten in der Stadt.«
»Ich will wieder ins Lager.«
Nach Mollys käsiger Haut zu schließen, konnte sich Phoebe nicht vorstellen, dass ihr das Sommerlager besser gefiel als ihr selbst damals. »Du kannst natürlich, wenn du unbedingt willst, aber ich weiß, was es heißt, kein richtiges Zuhause zu haben. Vergiss nicht, dass Bert mich ebenfalls ins Internat in Crayton gesteckt und im Sommer ins Ferienlager abgeschoben hat. Ich hab’s gehasst. New „York dagegen ist im Sommer echt riesig. Wir könnten eine schöne Zeit miteinander verbringen, alles Mögliche unternehmen und uns ein bisschen besser kennen lernen.«
»Ich will zurück ins Ferienlager«, beharrte Molly dickköpfig.
»Bist du dir wirklich sicher?«
»Auf jeden Fall. Du hast kein Recht, mich daran zu hindern.«
Phoebe, die allmählich Kopfschmerzen bekam, wollte sich dennoch nicht so leicht von der Feindseligkeit des Mädchens abwimmeln lassen. Sie versuchte es mit einer anderen Taktik. Mit einem Kopfnicken wies sie auf das Buch auf Mollys Schoß. »Was liest du gerade?«
»Dostojewski. Ich will im Herbst einen Aufsatz über ihn schreiben.«
»Wow! Bin beeindruckt. Ganz schön schwere Lektüre für eine Fünfzehnjährige.«
»Nicht für mich. Ich bin ziemlich intelligent.«
Phoebe wollte lächeln, aber Molly sagte das in einem so sachlichen Ton, dass sie nicht konnte. »Das stimmt.
Du bist ganz schön gut in der Schule, nicht wahr?«
»Ich habe einen außergewöhnlich hohen IQ.«
»Klüger zu sein als alle anderen kann auch ein Fluch sein.« Phoebe wusste noch gut, wie es bei ihr gewesen war.
Ihre Intelligenz war ein Grund mehr gewesen, warum sie von den Mitschülern ständig ausgeschlossen worden war.
Mollys Gesicht blieb finster verschlossen. »Ich bin heilfroh um meine Intelligenz. Die meisten Mädchen in meiner Klasse sind Dumpfbacken.«
Obwohl Molly sich wie eine arrogante Göre benahm, versuchte Phoebe, sie nicht zu verurteilen. Gerade sie wusste schließlich, dass Bert Somervilles Töchter ihren eigenen Weg finden mussten, mit dem Leben fertig zu werden. Sie zum Beispiel hatte sich als Teenager hinter ihren Fettpölsterchen versteckt und später dann hinter ihrer schillernden Erscheinung und ihrem ebenso schillernden Benehmen. Molly dagegen versteckte sich hinter ihrem scharfen Verstand.
»Entschuldige bitte, Phoebe, aber ich bin gerade an einer besonders interessanten Stelle und würde jetzt gerne weiterlesen.«
Phoebe achtete nicht auf Mollys Worte und versuchte erneut, sie dazu zu überreden, mit ihr nach Manhattan zu kommen. Doch Molly blieb stur, und Phoebe musste sich schließlich geschlagen geben.
An der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Du rufst mich doch an, wenn du was brauchst, oder?«
Molly nickte, aber Phoebe glaubte ihr nicht. Das Mädchen würde lieber Rattengift nehmen, als sich an ihre liederliche große Schwester um Hilfe zu wenden.
Auf dem Weg nach unten versuchte sie ihre Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Sie hörte Viktor im Wohnzimmer mit seinem Agenten telefonieren. Da sie ein paar Minuten allein sein wollte, um sich wieder zu fassen, schlich sie ins Studierzimmer ihres Vaters, wo Pooh in einem mächtigen Ohrenbackensessel döste, der vor einem großen Schaukasten mit Gewehren stand. Das flauschige weiße Köpfchen der Pudeldame schoss hoch. Sie hüpfte aus dem Sessel und kam mit wedelndem Pompon-Schwanz auf ihr Frauchen zugerannt. Phoebe ging in die Knie und zog das Hündchen an sich. »Na du Racker, heute hast du’s aber wirklich hingekriegt, nicht wahr?«
Pooh leckte ihr entschuldigend übers Kinn. Phoebe versuchte die Schleifen an den Ohren des Pudels wieder neu zu binden, doch ihre Hände zitterten so stark, dass sie es rasch wieder aufgab. Lange hielten die Schleifen bei diesem Hund sowieso nie.
Pooh war eine Schande für ihre Rasse. Sie hasste Schleifchen und Glitzerhalsbänder, weigerte sich, in ihrem Hundebettchen zu schlafen, und war überhaupt nicht heikel, wenn’s ums Futter ging. Sie hasste es, die Krallen geschnitten zu bekommen, gebadet oder gebürstet zu werden, und wollte auch nicht den Pulli mit dem Monogramm tragen, den sie von Viktor geschenkt bekommen hatte. Nicht einmal als Wachhund taugte sie
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