Ausgerechnet Souffle'!
Oberkörper in seiner Küche zu stehen und an seinem Mixer rumzufummeln. Ich weiche in den Sichtschutz meines Vorhangs zurück den Impuls unterdrückend, mir das Haar zurechtzustreichen und an meinem Kleid zu zupfen. Er sieht mich ja gar nicht. Ich ihn allerdings schon. Aus rein anatomischem Interesse greift meine Hand nach dem Fernglas, welches ich neulich zufällig erworben habe. Es war ein Schnäppchen, ehrlich, und ich hätte es bestimmt irgendwann bereut, wenn ich nicht zugegriffen hätte. Nicht im Geringsten stand mir beim Kauf der Sinn danach, es auch tatsächlich zu benutzen. Andererseits besteht just die Gelegenheit, es auf seine Funktionalität zu überprüfen.
Seine Muskulatur ist von Nahem betrachtet weitaus beeindruckender, als erwartet. Mit einem kleinen Schwenker findet der Sucher der Linse sein Gesicht. Offensichtlich war die Zeit heute zu knapp, sich zu rasieren. Der Feldstecher erfasst präzise jedes Fältchen seiner Haut. Wie alt er wohl sein mag? Nicht älter als Mitte, Ende dreißig. Cognacfarbene Strähnen durchziehen sein dunkelblondes Haar. Gewiss riecht es nach Zitrone oder etwas anderem, frischen, wie Minze. Aus der Ferne vermag ich seine Größe schwer einzuschätzen, aber ich gebe ihm über eins achtzig. Seine langgliedrigen Finger, die soeben lieblos an dem gläsernen Mixeinsatz rütteln, sind gepflegt und ohne sichtbare Schwielen. Vermutlich arbeitet er nicht damit. Gerade gießt er einen Liter Milch in den Becher und schneidet Bananenstücke hinein. Er macht sich einen Shake, grinse ich und neige mich weiter nach vorne, um den Sucher genauer auszurichten. Die Zungenspitze erscheint zwischen seinen Zähnen, als er konzentriert den Deckel auf den Aufsatz dreht und den Hebel umlegt. Irgendwie süß. Dann trifft er mich zum zweiten Mal. Der ozeanblaue Blick aus diesen lang bewimperten Augen. Ich halte unwillkürlich den Atem an. Hinter dem dichten Vorhangstoff sieht er mich garantiert nicht. Trotzdem fühle ich mich ertappt, sowohl von ihm als auch von meinem moralischen Gewissen.
Katharina Lehner ist ein Stalker.
Schnell lege ich das Fernglas zur Seite. Leider werde ich zukünftig nie mehr rein zufällig aus dem Fenster schauen.
Nur so zum Zeitvertreib schreibe ich die Dinge auf, die ich über ihn erfahre. Wann er aufsteht. Wann zur Arbeit geht. Wann er Feierabend macht. Ich wünsche ihm einen guten Morgen und sage abends liebevoll Gute Nacht. Inzwischen überblicke ich den Inhalt seines Kleiderschranks samt der genauen Anzahl an Hemden und Jeans. Und amüsiere mich stets königlich darüber, wie lange er braucht, bis er sich für eine Kombination entscheidet. Meist zieht er sich währenddessen mehrmals um. Erstaunlicherweise trägt er keine Socken. Nie. Auch nicht in Lederschuhen. Schokocreme mag er besonders. Er schmiert sie zweifingerdick auf sein Frühstücksbrötchen und lächelt dabei. Er lächelt oft. Ab und an erwische ich ihn sogar nachts am Kühlschrank, wenn er das sündige Nougat-Zeug löffelweise direkt aus dem Glas nascht. Kochen scheint nicht sein Ding zu sein. Stattdessen isst er aus Schachteln. Unzählige Pizzakartonagen und diese niedlichen, viereckigen Schächtelchen vom Chinesen stapeln sich in seinem Mülleimer. Man denkt nicht, wie viele Informationen in einer Mülltüte stecken können. Inzwischen kenne ich die Adresse seines Fitnessstudios, die Höhe seiner Telefonrechnung und den Sachbearbeiter seiner Krankenversicherung. Ein wirklich netter Mann mit einer angenehmen Stimme. Ich rate Ihnen, liebe Leserin, kaufen Sie sich einen Schredder.
Mein Nachbar telefoniert permanent und trinkt währenddessen schwarzen Kaffee aus einer apfelgrünen Tasse mit Henkel. Ab und an liegt eine Spiegelreflexkamera auf seinem Küchentisch, die er oft in die Hände nimmt und eingehend betrachtet. Meine Recherche im Internet ergab, dass das Fabrikat des Geräts zur teuren Gattung eines namhaften Herstellers gehört und ausschließlich von Profis benutzt wird. Er reinigt die Kamera regelmäßig und verbringt Stunden damit, sie auseinander zu schrauben und wieder zusammenzusetzen. Ebenso häufig und liebevoll beschäftigt er sich mit seiner Zimmerpflanze, einem Philodendron, den er mit Hingabe wässert. Weitere Sozialkontakte zu Lebewesen scheint er nur außerhalb seines Refugiums zu pflegen. Er empfängt selten Besuch, nur montags und donnerstags holt ihn stets derselbe Kumpel zum Training ab. Bisher wurde ich bloß der schlaksigen Gestalt des Besuchers und dessen Hinterkopfs mit
Weitere Kostenlose Bücher