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Ausgerockt - [Roman]

Ausgerockt - [Roman]

Titel: Ausgerockt - [Roman]
Autoren: FUEGO
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oder was man ist, was man will, wen man liebt.
    Hatte er damals den richtigen Beruf erlernt? Hätte er studieren sollen? Hätte er diese eine Frau nicht verlassen dürfen? Oder die andere, damals? Gab es einen Punkt, an dem er sich besser anders entschieden hätte? Wann wäre der gewesen? Und wäre es nicht schon vor langer Zeit besser gewesen, den verdammten Ballon fliegen zu lassen? Oder hatte bloß jemand gefehlt, der ihn mit einer Nadel zerstört?
    Draußen begann es zu regnen. Eine kleine Aufmerksamkeit des Zufalls.

    Die Stufen der Rolltreppe erhoben sich aus dem Boden und trieben empor in den ersten Stock. Linus fragte sich, wie viele Bakterien wohl auf den dicken schwarzen Gummihandläufen hockten. Er fasste sie nicht an, während er aufwärts fuhr.
    In den letzten Wochen hatten sich ziellose Streifzüge durch die Geschäfte im Zentrum gehäuft. Mittlerweile ging Linus nahezu täglich in die Stadt, ohne etwas zu kaufen.
    Manchmal betrachtete er sich in den Spiegeln der Geschäfte. Das verzerrte Abbild einer Person, die er in Erinnerung hatte. Dann erschrak er und zwang sich zu einem Lächeln. Das harte Lächeln des Frustrierten, das von niemandem erwidert wird.
    Manchmal zählte Linus, wie vielen Leuten auf der Straße und in den Geschäften er ausweichen musste, damit es nicht zu einem Zusammenstoß kam. Konnte es sein, dass immer er es war, der auswich? Ein rücksichtsloses Getummel, schwer zu ertragen. Er wollte zurück nach Hause, wo er gewesen war, als ihm die Decke auf den Kopf gefallen war und er sich entschieden hatte, hierher zu kommen.
    Er lief durch die Abteilung für Damenunterwäsche auf die andere Seite des Stockwerks. Hier führte die Rolltreppe ins Erdgeschoss zurück.
    Während er sich abwärts tragen ließ, rief Holger an, unbekümmert und laut und aufdringlich wie immer. Vor Kurzem noch hätte Linus sich gefreut. Es hätte seinen Harmoniebedarf befriedigt. Mittlerweile war es ihm egal.
    Eine Stunde später trafen sie sich in Achims Beckshaus. Holger trug über seinem üblichen unmodischen Schick ein altes schwarzes Jackett, das an den Ärmeln spannte und seine schlaksige Gestalt unnötig betonte.
    Nachdem er sich zu Linus an einen Tisch ans Fenster gesetzt hatte, sah er sich um und rümpfte die Nase. »Ob die hier wohl Bands spielen lassen?«
    »Anderes Thema«, sagte Linus.
    »Mach dir keine Sorgen. Ich meine mich. Vielleicht will ich ja irgendwann mal solo auftreten. Der Laden hier sieht geeignet aus.«
    »Wie geht’s dir?«, fragte Linus. Er wollte daran glauben, dass es möglich war, mit Holger über etwas anderes als Musik und Band und Auftritte zu reden.
    »Gut so weit. Na ja, du weißt schon. Ich muss mich erst mal neu sortieren. So ohne die Planes , da muss man erst mal schauen, wo man bleibt.«
    Linus sah Holger nachdenklich an. Vielleicht musste einfach mal alles gesagt werden, musste Holger sich gewissermaßen emotional entleeren, auskotzen, bevor er Ruhe geben würde. »Wir müssen uns alle neu orientieren. Ich meine, die letzten Tage und Wochen waren nicht unbedingt das, was ich sinnvoll nennen würde. Ich stand ziemlich neben mir.«
    Holger nickte. »Ich habe überlegt, ob ich nicht vielleicht Kabarett machen sollte.«
    Angesichts der unbekümmerten thematischen Sprunghaftigkeit seines Gegenübers ließ Linus die Schultern hängen und zog die Augenbrauen hoch.
    Holger fuhr fort. »Ich meine, mal ehrlich, es gibt ’ne Menge Zeug, worüber man ablästern könnte. Musikindustrie, Castings, Tokio Hotel , die komödiantische Konkurrenz, also diese Comedians.«
    Das Wort »Comedians« betonte Holger besonders herablassend.
    »Was spricht dagegen, dass die Leute ein bisschen lachen?«, fragte Linus.
    »Nix. Überhaupt nix. Aber diese Comedians, die sind nicht wirklich lustig oder talentiert, oder? Sie sind einfach nur gut im Lästern. Der ganze Witz dieser Leute, die da jeden Abend auf Sendung sind, beruht auf dem Prinzip des Lästerns. Die sind wie die asozialen Typen früher in der Schule, die sich auf Kosten anderer amüsiert haben. Sie schaffen nichts Eigenes. Zeigen bloß mit dem Finger herum und treten überall nach. Dieser Barth macht den Chauvinismus salonfähig und keiner merkt’s.«
    »Der war immer salonfähig«, erwiderte Linus müde. »Du hast immer noch die Möglichkeit, dir das nicht anzusehen.«
    »Hab ich die? Genauso wie ich die Möglichkeit habe, kein MTV zu gucken?«
    Linus zuckte mit den Schultern. »Klar.«
    »Weißt du, wenn ich das nötige Kleingeld hätte,
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